Elementare Architektur
Text: Michael Alder
erschienen in: archithese 1.1980, Nachkriegs-Generation, S. 18–19.
Heute erwarte man eine Prise Manierismus, hiess es zu meinem erfolglosen «Rosshof»-Projekt (in Zusammenarbeit mit Beatrice Alder), und weiter, dass ich vor 20 Jahren mit dieser Architektur vielleicht mehr Erfolg gehabt hätte (werk • archithese 33-34). Wahrscheinlich hat Othmar Birkner mit diesen Bemerkungen recht. Erstarrung der Raumbewegungen und Verunklärung der Raumzusammenhänge sind für mich zwei Wesensmerkmale, die ich in der alten und in der neuen manieristischen Architektur nicht mag. So sehr mag ich sie nicht, dass ich gerne in Kauf nehme, mit meinem Schaffen neben der Zeit und neben der Mode zu liegen.
Beim «dekorierten Schuppen» – ein Begriff von Venturi – habe ich grossen Spass an der Dekoration. Beim «Schuppen» steht nicht der Spass im Vordergrund, er interessiert mich! Anders gesagt: Die Dekoration spricht eher meine Gefühle an, zum «Schuppen» mache ich mir eher Gedanken. Wenn aber ein «Schuppen» auf mich interessant wirkt, versuche ich mittels Analyse die inneren Zusammenhänge einer einfachen, aber komplexen Architektur zu entschlüsseln.
Bei der ruralen Architektur, die für mich die eindrücklichste «Schuppen»Architektur ist, steht für mich ihre Wirkung als Ganzheit im Vordergrund. Das ganze Bauwerk und das kleinste Detail zeugen von einer optimalen Ausnützung des vorhandenen Materials, verarbeitet mit einfachen Werkzeugen und mit entsprechendem handwerklichem Können.
Der Optimierungsvorgang spielte sich ab über einen langen Zeitraum (viele Generationen). Die ländliche, aber auch die einfache städtische Architektur waren meines Erachtens immer eine wesentliche Quelle der Architekten. Für mein eigenes Bauen brauche ich sie. Ich begreife sie besser als die Architektur, die durch mehrmaliges «Zitieren» (Zitat eines Zitates eines ... ) an elementarer Aussagekraft verloren hat (z.B. Neo-Neo-Klassizismus).
Ein wesentlicher Gesichtspunkt der ruralen Architektur ist derjenige der Beschränkung. Sie ist für mich der wichtigste Ansatz in meiner Arbeit, bei der ich versuche, mit wenigen Mitteln (wenige Materialien, einfache Konstruktionen) meinem Anspruch auf eine komplexe und als Ganzheit wirkende Architektur zu genügen. So ist für mich weniger nicht nur mehr, es ist auch interessanter – genauso, wie auf mich klare Raumzusammenhänge stärker und interessanter wirken als unklare.
Die meisten Häuser, Weiler, Dörfer im Alpenbereich wirken in ihrer Architektur in die Landschaft einbezogen. Da die Häuser oft in der Falllinie gebaut sind, entstehen solche Raumzusammenhänge.
Gleichzeitig werden technische Vorteile erzielt: die Firstpfette als schwerster Bauteil kann ohne Hilfsmittel vom Hang her eingeschoben werden, und die dem gefährlichen Hang (Wasser, Stein- und Schneerutsche usw.) ausgesetzte Fassadenfläche wird zur kleinsten. Innen gibt es in der Regel keine Treppe; die Geschosstreppe wird aussen in die Falllinie gelegt.
Somit stehen die Häuser nicht in einem Gegensatz zum Hang, sondern in einem Dialog mit ihm. Der Hang ist Teil des Bauens und Teil des Gebäudes (Treppe). «Komplexität ohne Widerspruch in der Architektur» – diese Architektur gibt es eben auch (vielleicht zur Beunruhigung vieler Architekten). Ich halte nach ihr immer wieder Ausschau. Sie ist für mein eigenes Schaffen vorbildlich.
Ich lehne Dekoration in der Architektur nicht ab; ich bin aber (noch?) nicht in der Lage, sie an meinen Gebäuden zu verwenden. Ich denke auch, dass Dekoration dort unwichtig wird, wo sich eine Lebensweise in einem architektonischen Rahmen manifestiert (Gebrauchs- und Schmuckgegenstände usw.).
Ausdruck von Leben und Architektur kann aber auch im Zusammenhang erlebt werden. Beide tragen zu einem Gesamtausdruck bei, der stärker sein kann als der Ausdruck nur des einen oder des anderen: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Mit meinen einfachen, rohen Bauten versuche ich die Benützer zu bewegen, ihre Lebensweise zum Ausdruck zu bringen.
> Der Artikel ist ursprünglich erschienen in archithese 1.1980 Nachkriegs-Generation.