Eklektizismus in bester Formulierung
Lütjens Padmanabhan Architekten: Doppeleinfamilienhaus, Rüschlikon
Eine minimale Parzelle, ein turmartiges Volumen: Das Doppeleinfamilienhaus in Rüschlikon beweist, dass auch in unwirtlicher Umgebung Architektur möglich ist, die nicht trendig sein will, die man aber auch in dieser ambitionierten Ausprägung in der Schweiz noch nicht gesehen hat.
Autor: Hubertus Adam – erschienen in archithese 1.2011 Swiss Performance, S. 52–55.
Kontext – so lautet einer der meiststrapazierten Begriffe des helvetischen Architekturdiskurses. Welcher Bauplatz auch immer: Es bedarf nur geringer intellektueller Anstrengung, um zu legitimieren, dass sich die Gestalt eines Hauses so und nicht anders darbieten müsse. Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan, die beide nach ihrem Studium bei Meili, Peter Architekten in Zürich arbeiteten, sprechen angesichts ihres Erstlingswerks nicht über Kontext; mag sein, dass ihnen die zeitweilige Tätigkeit bei OMA respektive in den USA andere Perspektiven eröffnet hat. Eine Wohnstrasse in Rüschlikon am linken Zürichseeufer, im Speckgürtel am Rande der Grossstadt gelegen, bietet bei nüchterner Betrachtung keine kontextuelle Anregung. Präfabrizierte Chalets der Jahre um 1900, altrosa gestrichene Wohnbauten der Fünfziger oder pseudomoderne Neureichenvillen aus der Hochkonjunkturära bilden die Umgebung, dazu treten erschreckend hässliche Bushaltestellen aus jüngster Zeit, die von viel Geld, aber wenig Geschmack zeugen. Was den eigentlichen Reichtum darstellt: der Blick vom Hang aus seeaufwärts bis hin zu den Glarner Alpen. Um diesen ging es bei einem kleinen Grundstück in jener Strasse.
Zwei Familien taten sich bei dem Bauprojekt zusammen, das an die Stelle eines bestehenden, die Parzelle nicht sinnvoll ausnutzenden Gebäudes treten sollte. Älter die eine Familie, jünger die andere. Für die angehenden Zürcher Architekten bestand die Herausforderung darin, die verschiedenen Wohnansprüche und letztlich auch die unterschiedliche Finanzkraft der Bewohnerinnen und Bewohner zu berücksichtigen – und ihnen doch ein Heim zu realisieren, das von Balance und nicht von Disproportion zeugt. Eine geschickte Ausnutzung der Hangsituation ermöglichte es, ein realiter fünfgeschossiges Volumen in einer Zone zu realisieren, die baurechtlich lediglich eine zweigeschossige Bebauung zulässt. Die unterste Ebene, weitgehend in den Hang eingegraben, birgt die Tiefgarage – wer sich in Rüschlikon ansiedelt, absolviert längere Wegstrecken automobil. Das Sockelgeschoss dient den Fussgängern als Zugang – der zum Tal hin orientierte Hausteil besitzt hier seinen Vorgarten – und ist doch aufgrund der starken Hanglage zur Hälfte noch als Keller ausgebildet. Die nächste Ebene, rückwärtig zu einem geschützten Garten hin orientiert, ist das erste der beiden Hauptwohngeschosse, über denen die Attikazone mit zwei mehr oder minder pavillonartig ausgebildeten, hinter Terrassen zurücktretenden Raumstrukturen angeordnet wurde.
Das klingt einfacher, als es in Wahrheit ist. Denn es galt zum einen, auf die unterschiedlichen Wohnanforderungen zu reagieren: Die ältere Familie wünschte sich einen Lift inmitten des Stiegenhauses, bei der jüngeren entwickelt sich die Treppe um ein zentrales Auge; die ältere wünschte sich die Zimmeranordnung etwas gediegener, vielleicht repräsentativer, die jüngere informeller; die ältere wünschte die Ausrichtung auf den Zürichsee – die jüngere, wiewohl finanziell etwas benachteiligt, ebenfalls. Überdies legten es Hangsituation und Teilung des Hauses nahe, auf durchgängige Geschossebenen zu verzichten. Die Treppenhäuser sind gegeneinander verschoben, um bei minimalem Grundriss eine maximale Grosszügigkeit der Geschossgrundrisse zu gewähren, sodass sich als Trennung beider Hälften eine orthogonal gebrochene, s-förmige Wand ergibt. Entsprechend der Topografie wurden die Ebenen beider Häuser zum Teil versetzt, die differenzierenden Geschosshöhen kamen als zusätzliche Variable hinzu.
Lütjens Padmanabhan entschieden sich dagegen, all diese Anforderungen in einem mural geprägten, blockhaften Volumen zu vereinen. Stattdessen errichteten sie ein turmartig aufstrebendes, filigran wirkendes Konstrukt, das nicht nur die Verschiebungen der Geschosse, sondern auch die heterogenen Anforderungen nach aussen wirksam werden lässt – und das mit einem schmalen Volumen auf einer hinsichtlich ihrer Dimensionen bescheidenen Parzelle. Anstatt dem Mainstream der Schweizer Architektur zu folgen, wagten die Architekten etwas Neues, das gleichwohl ohne eine ebenso sensible wie intelligente und präzise Recherche vergangenen Baugeschehens nicht denkbar wäre. Variierende Fensterformate lassen an die Mailänder Wohnbauten von Asnago e Vender denken. Verspringende Geschosshöhen, aus der Putzfassade vorspringende Bauteile: Hier erwiesen sie Adolf Loos ihre Reverenz und brachen den eindeutigen Bezug doch dadurch, dass der rückwärtige Erker das Haus Müller zitiert, während der talseitige als Dreieck aus dem Volumen herausgeklappt wurde. Schliesslich wird, so klassisch-modern das Äussere letztlich auch erscheinen mag, in der zeltartig-invertierten Decke des Pavillons im talseitigen Bauteil wie auch beim grossflächigen Schachbrettmuster des Vestibüls in der anderen Haushälfte, das gleichsam unter die Wandstruktur geschoben zu sein scheint, etwas von der Chuzpe von Robert Venturi spürbar. Und vielleicht, ironisch gebrochen im bekrönenden Zeltzimmer, auch etwas vom Klassizismus Friedrich Schinkels.
Erstlingswerke, so sie denn vielversprechend sind, leiden mitunter an einem Übermass an Ambition und Bezügen. Diese Phase scheint vielleicht auch beim Doppeleinfamilienhaus von Lütjens Padmanabhan nicht vollends überwunden. Was indes viel wichtiger ist: Hier sind junge Architekten am Werk, die anders denken. Die es schaffen, bei einem durchaus konventionellen Haus in Mischbauweise eine fast papieren wirkende Fassade zu realisieren, weil sie es vermögen, Aussenhaut und innere Wand gegeneinander zu versetzen. Die mit Fenstern arbeiten, bei denen die Umkehr von hell und dunkel gefassten Profilen die gewohnte Optik auf den Kopf stellt. Mit filigranen Gittern, die auf dem Dach, vor hellem Hintergrund, weiss gespritzt sind und vor den Fenstern als Absturzsicherung dunkel, um den Ausblick nicht zu behindern. Und mit einer Fassadengestaltung, bei der Weiss und Grau zur volumetrischen Differenzierung genutzt werden und auch ein Natursteinsockel eingesetzt werden kann, selbst wenn dieser sich unverkennbar als Steintapete zu erkennen gibt.
Architektur: Lütjens Padmanabhan Architekten, Zürich – Oliver Lütjens, Thomas Padmanabhan, Florian Summa, Gianluca Costa, Stefanie Trautmann, Hannah Wild; Bauleitung: Vollenweider Baurealisation, Zürich; Tragwerksplanung: Bänziger Partner, Buchs; Haustechnik: Wildhauser Haustechnik, Münchenstein.
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> Der Artikel ist ursprünglich erschienen in archithese 1.2011 Swiss Performance.