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Einer für alle

Der Bostudenzelg ist eines der letzten zusammenhängenden Areale in Thun im Baurecht. Derzeit als Ackerfläche genutzt, die von Mehrfamilienhäusern und Gewerbebauten umspült wird, sollen dort 400 bis 600 neue Wohnungen entstehen. Verständlich – denn nur wenige Gehminuten vom See entfernt, ist die Lage sehr attraktiv. Das Areal befindet sich zur Hälfte im Besitz der Stadt Thun. Die andere gehört der Frutiger AG und der Bernischen Pensionskasse. In einem Ideenwettbewerb erzielten Rykart Architekten mit Ernst Gerber Architekten + Planer und Klötzli + Friedli Landschaftsarchitekten in Zusammenarbeit mit der Berner Verkehrs- und Sozialplanungs AG Kontextplan Ende Februar den ersten Rang. Bisher fehlt im Süden der Stadt eine stadträumliche, identitätsstiftende Geste. Genau auf dieses Defizit reagiert der Gewinnervorschlag, indem er mit dem neuen «Freiraum» nicht nur einen Mittelpunkt für die neue Siedlung anbieten wird, sondern das Potenzial hat, ein Ort der Identifikation für das Schoren-Quartier zu werden.

 

Text: Lee Wolf – 14.4.2020
Bilder / Pläne / Visualisierungen: Rykart Architekten / Ernst Gerber Architekten + Planer

 

Konzept für mehr Dichte
Die Suche nach einer stadträumlichen Identität des Quartiers und attraktiven gemeinschaftlich nutzbaren Innen- und Aussenräumen stand für das Siegerteam bei der Ausarbeitung des Vorschlages im Vordergrund. Die übergeordnete Zielsetzung war es, ein städtebauliches Gesamtkonzept für das Areal zu entwickeln, welches die Anordnung der Nutzungen, genügend Freiraum und die Erschliessung an den Nahverkehr gleichermassen miteinbezieht und sich dabei attraktiv und nachhaltig in die umliegenden Quartiere integriert. Ausserdem galt es, die vielfältigen Bedürfnisse einer angepeilten heterogenen und altersdurchmischten Bewohnerschaft zu antizipieren. Die Stadt möchte dort einen Anteil gemeinnütziger Wohnungen realisieren und auch Eigentumswohnungen sind vorgesehen. Das Areal – mit einer Grösse von 45 000 Quadratmeter – unterliegt einer Überbauungsordnung aus den 1970er-Jahren. Aus dem Siegerprojekt des Ideenwettbewerbs soll nun ein Richtprojekt erarbeitet werden, welches als Grundlage für eine neue, zeitgemässe Überbauungsordnung des Areals dienen wird.

 

Gemeinschaft im Mittelpunkt
Der Entwurf von Rykart und Gerber überrascht trotz der anspruchsvollen Voraussetzungen mit Einfachheit und zugleich mit Radikalität: Die neun- bis zehngeschossigen Gebäude gruppieren sich um einen grossen, zentralen Freiraum. Auf ihm sollen zwei Solitärgebäude stehen, die den Raum gliedern und den Siedlungszugang definieren. Die Erdgeschosse sollen öffentliche Nutzungen aufnehmen, um das Quartier zu beleben. Die Randbebauung aus linearen und punktförmigen Bauten wird einen porösen rechteckigen Hof aufspannen. Sie lassen sich flexibel zu Baufeldern zusammenfassen und reagieren so auf den Anspruch zur Gliederung in spätere, noch nicht bekannte Einheiten für zukünftige Entwickler und Eigentümerschaften. Durch eine konsequente Süd-West / Nord-West-Hauptausrichtung sollen alle Einheiten eine hohe Wohnqualität und Weitsicht erhalten. Die Erschliessung sämtlicher Gebäude erfolgt ringförmig vom zentralen Park und ist als breite, multifunktionale Zone ausgebildet. Sie wird angereichert durch Spiel- und Aufenthaltsbereiche, Vorplätze, Gärten und Werkplätze. Ebenfalls an diesem Ring – jedoch in der Nähe des Haupt-Arealzugangs – soll sich ein Quartierplatz befinden. Auch hier sollen in den Erdgeschossen gemeinschaftliche und öffentliche Nutzungen untergebracht werden, beispielsweise eine Velowerkstatt, Spitex oder eine Café Bar. Rings um die neue Siedlung sollen Obstbäume zu den angrenzenden Siedlungen vermitteln. Ein feinmaschiges Netz aus Fusswegen wird diesen Grüngürtel durchwirken und den inneren Parkraum allseitig mit dem umgebenden Quartier verknüpfen. So soll die Siedlung klar nach aussen kommunizieren, dass sie ein öffentlicher Raum für alle sein möchte.

 

Ein Hof für alle
Die zentrale Erschliessung für alle Verkehrsteilnehmenden erfolgt über die Bubenbergstrasse. Fussgänger*innen und Velofahrende werden über den Platz und ein übersichtliches Wegnetz mit klarer Adressbildung geführt. Die halböffentlichen Gebäudevorzonen dienen verschiedenen Funktionen wie Spiel- und Aufenthaltsbereichen und Veloabstellplätzen. Der motorisierte Individualverkehr wird über eine einzige zentrale Rampe in die ringförmig angeordnete Tiefgarage geführt. Die unterirdisch angeordneten Veloabstellräume werden über zwei separate Rampen vom internen Wegnetz erreicht.
Die Siedlung soll für alle sozialen Schichten und Altersklassen ein passendes Angebot bieten. Dank der zentralen Ausrichtung wird Segregation verhindert: Alle Nutzungen finden in der Mitte statt – alle können teilhaben. Das Projekt wird nun in Workshops mit dem Gewinnerteam und Expert*innen durchgearbeitet. Daraus soll ein Richtprojekt entstehen, das als Grundlage einer neuen baurechtlichen Grundordnung dienen wird. Ist das Planungsgenehmigungsverfahren abgeschlossen, sollen Projektwettbewerbe für die Baufelder folgen. Die Fertigstellung der ersten Wohnbauten ist auf Herbst 2023 angepeilt.

 
 

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