Der Bau zu Schwabel
Schwabylon – eine Münchner Geschichte
Jüngst wurde der Nachtclub Yellow Submarine in München abgerissen. Damit verschwanden die letzten Überreste der sagenumwobenen Freizeitstadt «Schwabylon» des Schweizer Architekten Justus Dahinden. Eine Geschichte von grossen Ambitionen und ebenso grossem Scheitern.
Text: Julia Höck
erschienen in: archithese 2.2013, Age of Cool, S. 78-81
Wer erinnert sich nicht gerne an die legendären Zeiten in München, als Schwabing die Hochburg der kreativen Köpfe und Freidenker war und sein Nachtleben über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. «Dabei sein, in sein, drin sein», hiess es immerzu.
Dabei sein wollte auch Otto Schnitzenbaumer, ein Augsburger Landmaschinengrosshändler und Immobilieninvestor. Er wollte mitmischen im bunten Treiben Schwabings der anfänglichen Siebzigerjahre, dem München der Nachkriegszeit einen weiteren Farbtupfer und Schwabing eine neue Attraktion geben. Er entwickelte die Idee, der Stadt ein nie zuvor gesehenes Vergnügungs-, Sport- und Einkaufsparadies zu bauen: «Die Wunderwelt der Freizeitstadt soll eine permanente Entdeckung bleiben. Sie heisst Schwabylon.»1
Das Schwabylon sollte Otto Schnitzenbaumer in den Konsum-Pop-Olymp Münchens erheben und ihn zu Schwabings grösstem Entertainer machen,2 «nur auf einem solideren Fundament als die Brüder Samy». Das schillernde Geschwisterpaar stand als Betreiber hinter der Bar Drugstore und dem Einkaufszentrum Citta 2000 in der Leopoldstrasse – Institutionen, an die sich die Stadt noch heute erinnert.
Während die Citta 2000 von der Münchner Freiheit – als Zentrum des Schwabinger Lebens – stadteinwärts lag, fand Schnitzenbaumer für seine Vision einen Kilometer stadtauswärts einen Bauplatz an der Leopoldstrasse. Auf einem Areal von etwa 40'000 Quadratmetern konnte er seine Freizeitstadt für München verwirklichen. Neben dem eigentlichen Schwabylon umfasste Schnitzenbaumers Planung ein Bürohaus, Apartmenthäuser in Systembauweise mit mehr als zweitausend Wohneinheiten sowie ein Luxushotel. Für seine Hotelpläne erwarb der Bauherr eine benachbarte Rezessionsruine – drei quer zur Leopoldstrasse stehende Hochhausscheiben eines zuvor geplanten «Bürotels» – und revitalisierte sie als erster deutscher Franchisenehmer für die amerikanische Hotelkette Holiday Inn. Es sollte eine kleine «Stadt in der Stadt» entstehen.
Die Finanzierung des rund 180-Millionen-DM-Projektes wurde schon von Beginn an von der Presse kritisch begleitet3 und stand später mit im Zentrum des «Helaba-Skandals». Doch von Wilhelm Hankel, dem damaligen Präsidenten der Hessischen Landesbank, wurde Schnitzenbaumer als «der sympathischste aller Baulöwen» und als «wirklich gute[r] Unternehmer»4 bezeichnet. Mit dem soliden Gütesiegel der Hessenbank ausgezeichnet, konnten Anleger für die Finanzierung des Schwabylon-Projekts (Fond 2001) gewonnen werden. Ernste Zweifel an der Solidität der Finanzierung gingen im Optimismus der nahenden Olympischen Spiele trotz Warnungen unter.
Ein Platz an der Sonne
München wollte ein Jahr vor den Olympischen Spielen 1972 zeigen, dass es mit anderen Metropolen der Welt mithalten kann. «Das erste Holiday Inn-Hotel in der Bundesrepublik bietet einen Komfort, der bei uns noch zur Seltenheit gehört. Amerikanische Perfektion glücklich verbunden mit Münchner Gemütlichkeit.»5 Dieses Hotel sollte Schnitzenbaumers Einkaufs- und Freizeitzentrum Schwabylon das Sahnehäubchen aufsetzen und der Stadt «eine Tafelrunde für Weltbürger»6 geben. Es war schlicht cool, die damals grösste amerikanische Hotelbetriebsgesellschaft in der Stadt zu haben, dessen Hotelhalle mit 75 Metern die längste Europas war. Man erträumte sich «einen Tummelplatz für die High Society, mit einem Hauch von James-Bond-Romantik».7
Auch die Inspiration für sein Einkaufsparadies Schwabylon holte sich Schnitzenbaumer aus dem Ausland und «kochte dann seine eigene Suppe daraus».8 Die wichtigste Erkenntnis für ihn war dabei: Ein solches Einkaufszentrum musste wetterunabhängig sein und folglich alles unter einem Dach seinen Platz finden.
Für den Entwurf Schwabylons beauftragte Schnitzenbaumer den Zürcher Architekten und späteren Professor an der TU Wien Justus Dahinden, der damals mit seinen gestaltpsychologischen und archi-philosophischen Ideen, wie der des «Kontextualismus in der Architektur» als Einheit zwischen Bauwelt, Natur und Mensch oder der «Philosophie der Schräge», hervortrat. Ein erstes Beispiel seines Denkens respektive seiner Architektur ist das Ferrohouse (1970) am Seeufer in Zürich, das in seiner Erscheinung als Stufenpyramide als formaler Vorläufer zum Schwabylon gesehen werden kann. In München vereinte sich diese Formensprache mit einer Freizeit- und Spassvision à la Archigram.
Mit einem riesigen Medienspektakel wurde die Freizeitstadt im November 1973 eröffnet. Poppig in bunt emailliertem Stahl, fast fensterlos, aber dafür mit einer aussen aufgemalten Sonne empfing das neue Zentrum die Besucher und Kunden. Justus Dahinden beschrieb es ausführlicher: «Die aufgehende Sonne an der Stufenpyramide des Schwabylon soll mehr sein als bloße originelle Fassadengraphik. Hier soll die funktionale Zweckarchitektur durch einen übergeordneten künstlerischen Eingriff entfremdet und humanisiert werden.»9
Kontaktierende Strukturen
«Unsere Ballungszentren werden von ihren Bewohnern mehr erduldet und erlitten als genossen – und so kommt es, dass die Freizeitgestaltung zu einem Problem wird.»10 Das Schwabylon sollte gegen die Probleme der Grossstadt ankämpfen, die Freizeit wieder direkt an den Stadtmenschen bringen und so das Leben in der künstlichen Umwelt der Stadt wieder erträglicher machen: «Eine Oase zum Atemholen, eine Insel der Lebensfreude, ein Ort für die Freizeittätigkeit, Jahrmarkt des Lebens, Schlaraffenland, Spielparadies ...»11 So umfasste «der hügelartige Gross-Container»12 Einkaufspromenaden mit rund einhundert Läden, Boutiquen und Galerien, zwölf Restaurants, einen Biergarten mit knorrigen alten Kastanien inklusive nachts beleuchtetem Froschtümpel, eine Spielhalle (Las Vegas), Kino, Gesundheitszentrum, Sportanlagen, römische Thermen, Sauna, Solarium, Schwimmbad, Tropengarten, Milchbar, Showbühne (Agora) und eine Kunsteisbahn, die auch zu einer Boxkampfarena oder einem Ballsaal umgebaut werden konnte. Die mehrgeschossige Anlage kam dabei völlig ohne Treppen aus und wurde allein über ein Rampensystem erschlossen. Als Zentrum fungierte der «Marktplatz». Das «Herz der Freizeitstadt, wo jeder jeden trifft. Wie einst die Venezianer am Rialto, wie heute noch die Tunesier im Basar – so treffen sich die Schwabylonier auf dem Markt.»13 Denn «Schwabylon kennt nur eine Saison: Immer.» «Viel Spaß. Viel Glück. Swing along – Go and Stop – Dancing Lady – Liberty Bell – Speedway – Diskothek.»14
So ambitioniert die Idee des Schwabylons auch war, erwies sie sich doch bald als Fehlinvestition. Bei den Münchnern wollte die Freizeitstadt nicht recht Gefallen finden – die Lage mag dazu beigetragen haben. Die Kundschaft blieb aus, die nebenan errichteten Wohnungen erwiesen sich als schwer verkäuflich; erste Geschichten über Messerstechereien, Drogenhandel und Prostitution in den Apartmenthäusern kursierten.15 In einer spektakulär organisierten Gemeinschaftsaktion zogen schliesslich die enttäuschten Ladenbesitzer aus dem Schwabylon aus.16 Ihnen waren grosse Gewinne versprochen worden, doch nichts als Kunstlicht kam in die Kassen. So stand das «urbano-soziale Experiment», das einen «Beitrag für den Städtebau von morgen und übermorgen leisten» und in dem «ein dauerndes Happening»17 stattfinden sollte, nach nur vierzehn Monaten wieder leer. Jegliche Versuche, das Schwabylon anderweitig zu nutzen, scheiterten; lediglich für das Grundstück interessierte sich ein grosses Versicherungsunternehmen. Durch die Forderungen der Gläubiger unter Druck gesetzt, wurde das Grundstück verkauft und im Frühjahr 1979 die Freizeitstadt trotz der immensen ursprünglichen Baukosten wieder abgerissen. Die Wohnbauten sowie die Scheiben des Holiday Inn blieben erhalten.
Ohne Haifisch keine Party
Als funktionale Verbindung zwischen dem Schwabylon und dem Hotelpalast Holiday Inn fungierte ein Flachbau, in dem sich der Nachtclub Yellow Submarine befand, den Schnitzenbaumer selbst einmal als den «gruseligsten Nachtklub von München» bezeichnet hatte.18 Um einen dreistöckigen Clubraum – von Architekt Fritz Eyerer einem Unterseeboot nachempfunden – tummelten sich in einem 600'000-Liter-Salzwassertank zahlreiche, eigens dafür im Golf von Mexiko gefangene Haifische und Schildkröten. Damit wurde das Yellow Submarine zur «einst angesagtesten Diskothek Münchens»19, «einem Nightclub, den es nur einmal auf der Welt»20 gab.
Das Yellow Submarine überlebte zwar das Schwabylon, doch in den Achtzigerjahren schlossen sich auch diese Türen. Lange stand der hauseigene Club des Holiday Inn bis auf wenige sporadische Zwischennutzungen leer. Erst im März diesen Jahres wurden die letzten Relikte damaliger Urbankultur – das Yellow Submarine zusammen mit den Hochhausscheiben des Holiday Inn – trotz Proteste und Bemühungen für den Erhalt aus der Bevölkerung21 abgerissen, «ein Monument eines Lebensgefühls abgewickelt», aus einer Zeit, als «High Life noch wichtiger war als High Profit».22 Wer heute in gepflegtem Rahmen der Zeit nachfühlen möchte, dem bleibt nur noch ein Besuch des mittlerweile denkmalgeschützten und aufwendig renovierten Sternerestaurant Tantris, welches Dahinden nur wenige hundert Meter von der Schwabylon-Baustelle entfernt 1971 fertigstellte.
War das Schwabylon ein Projekt, das die damalige Zeit in Architektur und Erscheinung verkörperte, ist nun Raum geschaffen für die Zeichen der heutigen Zeit. Noch grösser im Ausmass, jedoch ohne die bunten Visionen Schnitzenbaumers und Dahindens, plant ein Investor das «Schwabinger Tor» als eine Abfolge klar definierter Setzungen, basierend auf einer Planung des international tätigen Büros schmidt hammer lassen. Diesmal heisst es auf 42'000 Quadratmetern: «Auftakt zur Münchner Innenstadt»; und wieder soll ein ganzes Stadtquartier entstehen, welches hunderte von Wohnungen und Büros, ein Luxushotel mit integriertem Kongresszentrum und Wellness-Oase, Läden, Restaurants und ein Theater umfasst.23
Mag die Funktionsmischung dem «Immer und Alles» des Schwabylon ähneln, so lassen die Bilder von heute trotz Beteuerungen des Investors wenig Raum für Visionen für morgen, wie sie Justus Dahinden als kaum dokumentiertes Raumexperiment verwirklichte.
So trug das Schwabylon seinen Namen schliesslich zu Recht: Ein grössenwahnsinniges Bauprojekt, dessen Spuren wie einst beim Turm zu Babel gänzlich verschwunden sind, und das doch einen farbenfrohen Mythos zurücklässt, der anregt, über die wahre Gestalt zu spekulieren und neue Entwürfe zu wagen.
1 Justus Dahinden, Otto Schnitzenbaumer, Schwabylon – Idee und Planung, Projektbroschüre.
2 o. A., «Unterm Dach», in: Der Spiegel 17/1971, 19.04.1971.
3 Hermann Bößenecker, «Bunter Bunker für Millionen», in: DIE ZEIT, Nr. 42, 12.10.1973.
4 Ebd.
5 Justus Dahinden, Otto Schnitzenbaumer, Schwabylon – Idee und Planung, Projektbroschüre.
6 Stefan Mühleisen, «Haie der Großstadt», in: Süddeutsche Zeitung, 10.12.2011.
7 Ebd.
8 «Unterm Dach», Zitat: Otto Schnitzenbaumer, in: Der Spiegel 17/1971, 19.04.1971.
9 Manfred Sack, «Der Mensch selbst», in: DIE ZEIT, Nr. 47, 16.11.1973.
10 Justus Dahinden, Denken – Fühlen – Handeln. Lausanne 1973, S. 176.
11 Ebd.
12 Ebd., S. 179.
13 Ebd., S. 181.
14 Ebd., S. 180.
15 Thomas Stankiewitz, (Rolf Henkel), «Ende einer Geisterstadt. Freizeitstadt ‹Schwabylon› wird zum Trümmerhaufen, in: DIE ZEIT, Nr. 25,16.06.1978.
16 Ebd.
17 Justus Dahinden, Denken – Fühlen – Handeln, Lausanne 1973, S. 179.
18 «Unterm Dach», in: Der Spiegel 17/1971, 19.04.1971.
19 Stefan Mühleisen, «Haie der Großstadt» in: Süddeutsche Zeitung, 10.12.2011.
20 Justus Dahinden, Otto Schnitzenbaumer, Schwabylon – Idee und Planung, Projektbroschüre.
21 Maximilian Zeidler, Intervox. Agentur für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, München.
Maximilian Zeidler, Sohn des ehemaligen Pressesprechers des Schwabylons selbigen Namens, kämpfte mit grossem Engagement für den Erhalt des Yellow Submarine und die Unterschutzstellung als Zeichen einer Zeit, als München die heimliche Hauptstadt Deutschlands war. Fonds 2001.
22 Justus Dahinden, Otto Schnitzenbaumer, Schwabylon – Idee und Planung, Projektbroschüre
23 Angelo Rychel, «Leopoldstraße: Ende der Trostlosigkeit», in: Münchner Merkur, 09.11.2011. Quelle: www.merkur-online.de/lokales/muenchen/stadt-muenchen/leopoldstrasse-ende-trostlosigkeit-1481372.html
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