Mythos der Autonomie entzaubert
Die postmoderne Architektur wird derzeit vielerorts reflektiert: Das Canadian Centre for Architecture in Montreal hinterfragt in der kritischen Ausstellung Architecture Itself and Other Postmodernist Myths die Erzählung von der Autonomen Architektur. Skizzen und Dokumente aus Akten und Archiven sollen eine neue Lesart und eine kritische Betrachtung der Postmoderne und ihrer Architektur ermöglichen.
Text: Julian Bruns – 5.2.2019
Während die postmoderne Architektur in Europa eher negativ konnotiert und häufig sogar als «Trash» abgewertet wird, gibt es in Nordamerika eine positive, vielleicht sogar verklärende Lesart des ungefähren Zeitraums von 1965 bis 1990. Die Postmoderne wird bis heute hauptsächlich über Bilder transportiert. Die Ausstellung Architecture Itself and Other Postmodernist Myth möchte einen anderen Weg gehen: Architektur soll in Relation zu Dingen, Objekten und Materialien gezeigt werden, die eigentlich nicht dazu gedacht waren, ausgestellt und gesammelt zu werden und damit normal und alltäglich erscheinen. Die Schau soll dadurch den Mythos der architecture itself (gemäss Kuratorin Sylvia Lavin ist dies die Wahrnehmung (postmoderner) Architektur als nichtreduzierbare, autonome und künstlerische Disziplin) dekonstruieren, um so den zeitgenössischen architektonischen Diskurs von einer unkritischen Postmoderne-Rezeption zu lösen.
Mythos versus Alltag
Gezeigt werden unter anderem Fragmente ikonischer Gebäude. Sie werden in der Schau als archäologische Artefakte der Postmoderne inszeniert. Zu sehen ist etwa eine Treppe aus dem House I von Peter Eisenman (1968), ein Fenster des Prentice Women’s Hospital and Maternity Center von Bertrand Goldberg (1975, abgebrochen 2014) oder ein Bierdosen-Baustein, aus denen Michael Reynolds Firma Earthship Biotecture seit den 1970er-Jahren zahlreiche energieautarke Häuser gebaut hat. Um das «vorherrschende Narrativ» der Postmoderne zu entkräften, werden den Fragmenten Zeugnisse gewöhnlicher, bürokratischer Vorgänge gegenübergestellt: So werden alltägliche Auseinandersetzungen mit Bauvorschriften, Rechnungen und Visitenkarten, Anträge für Forschungsgelder und Patentanmeldungen dokumentiert. Andere Exponate sollen Verflechtungen mit dem Kunstmarkt und gewinnorientiertes Handeln der Architekturschaffenden aufzeigen. Eine Besonderheit ist ein siebenteiliger Podcast als Audioguide auf der Webseite des CCA. Darin erzählt die Kuratorin selbst viele Anekdoten zu den Exponaten, die die Ausstellung ergänzen. So können sich Interessierte, denen der Weg nach Kanada zu weit ist, dennoch in die umfassende Auseinandersetzung der Kuratorin mit der Architekturpostmoderne einhören.
Creative Economy
Ein häufig geäusserter Vorwurf gegenüber der Architekturpostmoderne ist, dass sie sich den Bauherren und dem Kapital angebiedert habe. Dieser würde aber «nicht viel über die Postmoderne aussagen, da monetäre Beweggründe schon immer einflussreich waren», widerspricht Lavin. Tatsächlich hätten die Architekten mitunter nur wenig Geld verdient. Davon erzählt eine Rechnung über 23 Dollar und 11 Cents, die von Charles Moore 1965 einem Bauherren ausgestellt wurde. Moore hatte mit Designerrabatt Möbel für ein Projekt gekauft – dies war seine zehn prozentige Provision. Das Wissen, das Architekten auch für kleine Beträge Rechnungen stellen, veränderte den Blick der Kuratorin auf die häufig dichtmöblierten Innenräume der Postmoderne. Lavin nennt dies Creative Economy: Wie kann man mit etwas Geld verdienen, das eigentlich nicht zum Geld verdienen gedacht ist?
Architektur als (schlechtes) Geschäft
Ein anderes Beispiel, das in eine ähnliche Richtung geht, untersucht die erwähnten Earthships von Michael Reynolds. Die Hersteller der Getränkedosen freuten sich natürlich über die kostenlose Werbung und produzierten zusätzliche Dosen, die sie dem Architekten spendeten. Die Rhetorik der Nachhaltigkeit wurde so ad absurdum geführt. Für die Kuratorin ist klar: Reynolds wollte gar kein Projekt zur Schonung der Ressourcen entwickeln, sondern im Sinne der Pop Art über die Verwendung vertrauter Produkte ein spezifisches Segment der Bevölkerung ansprechen. Dafür spricht ebenfalls, dass das Grundstück in New Mexico, das der Architekt für die Errichtung zahlreicher Earthships erworben hatte, aus baurechtlichen Gründen in einen Privatklub mit temporärem Ferienwohnrecht umgewandelt werden musste. Die Earthships konnten also nicht verkauft werden, sondern bloss das Recht darin zu wohnen, was natürlich einige juristische Auseinandersetzungen nach sich zog. Im Vergleich zu beispielsweise John Portman, der die kommerziell orientierten Bonaventura Hotels baute, fällt die Bewertung der beiden Architekten durch das CCA nun anders aus. Demnach sei Reynolds nicht der «bessere», weil an nichtkommerziellen, ökologischen Aspekten interessierte Architekt gewesen, sondern schlicht und einfach der schlechtere Geschäftsmann.
Trennung von Theorie und Praxis
Ein anderer Mythos der postmodernen Architektur Etablierung von Architekturgeschichte und -theorie als eigenständige Disziplinen. So wurde auf der institutionellen Ebene die Trennung der praktischen von der theoretischen Tätigkeit vorangetrieben, indem nur «ernsthafte wissenschaftliche Arbeiten» veröffentlicht oder gefördert wurden. Nach Lavin ist dies vordergründig eine reine Begriffsdiskussion. Denn die Arbeitsweisen von theoretischen / forschenden und praktisch tätigen Architekten seien weiterhin eng verwandt, wenn nicht sogar dieselben. So würden beide Disziplinen ihre Projekte entweder mit dem Gang in die Bibliothek oder am Zeichentisch beginnen. Als Beispiel wird Kenneth Frampton aufgeführt, einer der bekanntesten postmodernen Architekturhistoriker und Autoren, der zum Verständnis von Pierre Chareaus Maison de verre (1932) in Paris akribisch das ganze Gebäude seine Details aufgenommen und gezeichnet hat.
Für eine kritische Rezeption
Der Blick hinter die sprichwörtlichen Fassaden der postmodernen Architektur in Form kleiner Anekdoten weckt natürlich das (voyeuristische) Interesse. Zu erfahren, wie knauserig oder süchtig nach Anerkennung manch ein berühmter Vertreter der Architekturszene tatsächlich war, ist aber auch erkenntnisreich: Die Schlüsse, die von der Kuratorin daraus gezogen werden, sind oftmals überraschend und erhellend. Sie werfen ein kritisches Licht auf die Idee einer autonomen Disziplin und widersprechen der oftmals unkritischen Rezeption der Postmoderne.
Die Ausstellung Architecture Itself and Other Postmodernist Myths im Canadian Centre for Architecture in Montreal ist bis zum 7. April 2019 zu sehen.
> archithese diskutierte am 4. Oktober 2016 im S AM in Basel über die erneute Aktualität der Postmoderne. Hier finden Sie die Filme der drei Vorträge sowie der abschliessenden Diskussionsrunde mit Charlotte von Moos, Florian Sauter, Alex Lehnerer, Savvas Ciriacidis, Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan.