Die alten Khmer betrachten Anish Kapoor.
Die Eröffnung der Feuerle Collection im Frühjahr 2016 in Berlin bietet Anlass, sich das Konzept der privaten Sammlung genauer anzusehen und über ihr Potenzial zu sprechen. In ihrem Wesen als selbstbestimmter, schöpferischer Akt unterscheiden sich einige der ausgestellten Kollektionen grundlegend von den Institutionen der öffentlichen Museen. Die Freiheit des Sammlers öffnet ein maximales Möglichkeitsspektrum zur Entwicklung aller nur denkbaren Ausstellungkonzepte und -räume.
Dazu lohnt der Vergleich zweier im Geiste verwandter Positionen, welche zugleich die Bandbreite im architektonischen und räumlichen Potenzial sichtbar machen: Die Feuerle Collection in Berlin und das Museum Insel Hombroich in Neuss versammeln Kunstobjekte an ungewöhnlichen Orten: Garten und Bunker. Beide eröffnen einen inspirierenden und mitunter überraschenden Dialog zwischen Werken aus verschiedenen Epochen und geografischen Regionen und eine Rezeption des Betrachters in Echtzeit. Der Blick des Menschen, des Besuchers, wird Teil eines theatralen Spiels und schafft die einzige, verlässliche Verankerung im ZeitRaum.
Text: Anna Valentiny – 18.1.2017
Kreuzberg 2016
Die Besucher nähern sich dem ehemaligen Bunker, in dem neu die Feuerle Collection untergebracht ist von Westen. Vom Landwehrkanal kommend betriten sie das Objekt über das Untergeschoss – über einen kurzen, eher dunklen Flur entfernt man sich von der stark befahrenen Strasse und biegt nach circa 15 Metern nach rechts ab: Nach zwanzig weiteren Schritten erreicht man die hell erleuchtete Säulenhalle. Stahlbetonpfeiler stehen aufgereiht in zwei Fluchten, die sich vor den Augen der Eintretenden wie eine brachiale Allee ausweiten.
Die Feuerle Collection liegt am Halleschen Ufer 70. Südwestlich davon, befand sich bis in die 1940er Jahre der Anhalter Bahnhof, der bei den Luftangriffen der Alliierten auf Berlin nahezu zerstört wurde. Dessen Portikus steht heute als Fragment auf dem Areal. Gegen Süden besetzen ein Fussballplatz und das Tempodrom sein ehemaliges Areal. Die Sammlung befindet sich damit in einem – selbst für Berlin – heterogenen Stadtgefüge, dessen Fragmentierung als Resultat geschichtlicher Ereignisse gelesen werden muss. Im ehemalige Telekommunikationsbunker werden künftig Stücke aus Désiré Feuerles Privatsammlung ausgestellt. Daniele Maruca wird der leitende Direktor.
Der Sammler, der Architekt und das Sakrale
Désiré Feuerle betrieb von 1990–1998 eine Galerie in Köln, in der er mit Ausstellungen wie «Eduardo Chillida and the Chinese Neck Rests of Ming and Song Dynasties» oder «Richard Deacon and Silver Tea and Coffee pots from 17th c. to 20th c.», das Konzept der Gegenüberstellung von alt und neu und verschiedenen kulturellen Kontexten als kuratorisches Prinzip auslotete.
Seine persönliche Sammlung will er nun in Berlin in gleicher Manier inszenieren, indem er internationale, zeitgenössische Künstler wie Cristina Iglesias, Zeng Fanzhi und James Lee Byars mit Khmerskulpturen des 7. – 13. Jahrhunderts oder auch mit kaiserlich chinesischen Möbeln von der Han bis hin zur Qing Dynastie (200 v. Chr. – 18. Jahrhundert) konfrontiert.
Nach dem adäquaten Ort für seine Sammlung suchte Feuerle über neun Jahre. Er habe sich vielleicht ein verlassenes Kloster vorgestellt, sicher aber keinen Bunker. Der Begriff des Sakralen wird an dieser Stelle jedoch nicht zum letzten Mal fallen.
Feuerle fand den britischen Architekten John Pawson, der mit der Publikation Minimum (1996) und mit Umbau und Erweiterung des Zisterzienserklosters Nový Dvůr (2004) in Tschechien internationale Anerkennung fand. Seine Arbeiten bestechen durch ihre Gradlinigkeit und Einfachheit. Die im geschickten Spiel mit Licht, Proportion und Material entstandenen Räume, können in ihrer klaren Poetik in der Tradition des Minimalismus gelesen werden. John Pawson inspirierte sich stark an den Bauten und der Person des japanischen Innenarchitekten Shiro Kuramato, der in seinen Arbeiten stets die Symbiose aus traditioneller, japanischer Bauweise und zeitgenössischer Ästhetik anstrebt.
Die Höhle…
«Es ist schwierig sich Orte vorzustellen, die mit mehr Atmosphäre gefüllt sind als diese monumentalen Betonstrukturen. Sie fallen unter die Kategorie ‹Ingenieursarchitektur›, die Donald Judd so begeisterte. Von Anfang an, als ich diesen Ort das erste Mal besichtigte, und eine viszerale Präsenz von Masse wahrnahm, wusste ich, dass ich daran möglichst wenig ändern wollte». John Pawson
Um Pawsons Wahrnehmung der viszeralen Präsenz von Masse im architekturtheoretischen Kontext zu verorten, ist es hilfreich einen kurzen Umweg über zwei sehr unterschiedliche Protagonisten der Massenerhaltung und-wandlung zu nehmen:
Im geschlossenen System geht nichts verloren und die Masse im Kreislauf, in Bewegung zwischen den Aggregatzuständen (beispielsweise vom Fluid zum Gas) bleibt konstant. So spricht der französische Chemiker Antoine Lavoisier vergleichsweise profan, vom Material im permanenten Wandel: «Rien ne se perd, rien ne se crée, tout se transforme.» Die folgende Lesung Le Corbusiers scheint wohl auf den ersten Blick romantischer, spricht aber vom gleichen Phänomen: Alles ist Verwandlung.
Am Cap Martin, an der französischen Mittelmeerküste, verbrachte der Schweizerisch-französische Architekt und Stadtplaner seit dem Krieg seine Sommerferien. Im Zuge ausgedehnter Spaziergänge am Strand, sammelte er Artefakte der Natur: Seeschnecken, Muscheln, Treibgut und fand auch Menschengemachtes im Strandgut – Maschinenteile, die, von den Gezeiten umspült, etwas Neues wurden. Den von ihm fotografierten Objets à Réaction Poétique sprach er eine kreative Energie von unbegrenzten Potenzial zu.
Der seiner Funktion beraubte ehemalige Bunker in Kreuzberg steht heute einem solchen Objet gleich als Fremdkörper im städtischen Kontext. Seine Aussenwände wurden im Zuge der Renovationsarbeiten von einem beigen Anstrich befreit. Damit gibt er sich nun roh und monolithisch, ausgehöhlt vom Rauschen der Stadt, wie eine Skulptur.
… und das Raumschiff
John Pawson verzichtete im Zuge der Renovationsarbeiten am Telekommunikationsbunker auf jegliche grossen Geste, nutzte was er fand und agierte mit pointierten Interventionen. Die Ausstellungsräume werden von 27 Pfeilern in Felder zoniert. Zwischen den «Bäumen» platzierte Pawson schwarz gestrichene, quadratische Holzsockel zweier Formate. Darauf sollen zukünftig die von Feuerle gesammelten Objekte ihren Platz finden. Die Exponate werden dann die einzigen im Raum erhellten Gegenstände sein. Dem Architekten zufolge sollen die Pfeiler dadurch viel weniger massiv erscheinen und sich in mystische Schatten verwandeln.
Nach Norden schauend tut sich in der linken Raumhälfte ein verspiegelter Glaskubus auf. Es handelt sich um eine Art begehbaren Schrein, in dem Incense Zeremonien stattfinden werden. Die Räucherstäbchen sollen die synästhetische Raumerfahrung der Ausstellung verstärken. Das Ritual wird auf einer erhöhte Plattform durchgeführt, kann betrachtet und gewürdigt werden. Es entsteht ein Spiel zwischen Innen und Aussen; je nach Beleuchtung kann mal mehr oder weniger hinein oder hinaus geschaut werden – zwischen Bühnen- und Zuschauerraum. Die spiegelnden Aussenseiten des Ritualraum erweitern den Säulenwald ins Unendliche. Doch ist diese hinzugefügte Spiritualität wirklich nötig?
Es sollen künftig jeweils Gruppen aus 15 Personen auf Voranmeldung die Sammlung besuchen dürfen. Über eine Treppe an der Nordseite gelangen sie hinauf ins Erdgeschoss. Dieser zweite Ausstellungsraum ist im Kontrast zum Untergeschoss ein white cube. Alle Wände sind vorgestellte weisse Schichten, hinter der sich Ventilation und Luftaufbereitung verbergen. Auch hier gibt es Podeste, auch sie sind weiss.
Verwandtschaften
«Die Insel ist urweiblich.
Sie gebärt, hält zusammen, stützt, dient und lässt frei.
Sie ist kein Muss, sondern ein Darf.
Sie ist nicht entweder – oder, sondern sowohl – als auch.
Sie fordert jeden zur täglichen Auseinandersetzung mit sich selbst.» Karl-Heinrich Müller
Ähnlich wie die inszenierte Spiritualität ein zentrales Element der Feuerle Collection ist, soll auch das Museum Insel Hombroich bei Neuss als Erfahrungsraum kathartische Wirkung haben:
Das Verständnis des Ausstellungsbesuchs als transzendentales, ursprüngliches Erlebnis ist in Hombroich unmittelbar ersichtlich.
Die Museumsinsel liegt in einer Landwirtschaftsregion. Die renaturierte Auenlandschaft um den Fluss Erft wurde 1987 vom Düsseldorfer Makler und späteren Kunstsammler Karl Heinrich Müller als museale Parklandschaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sieben Jahre später, wurde das Ausstellungsgelände um die unmittelbar angrenzende Raketenstation Hombroich ergänzt, die zu Zeiten des kalten Krieges Teil des Nato-Lufverteidigungsgürtels war und die nun unter anderem ein Museum von Tadao Ando, Künstlerateliers und Unterkünfte umfasst.
Erwin Heerich war massgeblich in die Renovation und Neuplanung des 11 ha grossen Areals involviert. Später gewann Müller weitere namhafte Architekten wie Raimund Abraham, Oliver Kruse, Katsuhito Nishikawa und Alvaro Siza für sein Projekt.
Die Bauwerke bewegen sich dabei stets an der Grenze von Architektur und Skulptur. Trotz, oder gerade wegen ihrer Einfachheit in Form und Material (in der Erinnerung einer Besucherin, werden die Rahmen für Fenster oder Türen nicht immer von raumabschliessenden Glasscheiben oder Holz ergänzt), muss man den monolithisch wirkenden Körpern einen archaisch monumentalen Charakter zusprechen. Die Art, wie Objekte, Malereien und Skulpturen fernöstlicher Kulturen (auch Müller sammelt wie Feuerle Khmer Skulpturen) und Werken von Lovis Corinth, Hans Arp, Kurt Schwitters, Alexander Calder, Henri Matisse, Rembrandt und Yves Klein in einer üppig grünen Landschaft eingestreut sind, ruft Cézanne´s Leitmotiv «Kunst parallel zur Natur» in Erinnerung.
Epochen und Kulturkreise, aus denen die Werke stammen, bleiben unkommentiert. Es gibt keine erklärende Beschilderung. Die vergegenständlichten Gedanken stranden in der Gegenwart. Doch diese Dekontextualisierung ist kein Mangel, sondern das grosse Potenzial des Ansatzes: Der individuelle Blick des Betrachters lässt neue Zusammenhänge entstehen und neue subjektive Deutungen zu. Er betont die Kontinuitäten und Simultanitäten der menschlichen Kultur und Kunst, statt nach dem lokal und zeitlich trennenden zu fragen. Dieser Ansatz hat längst auch in den grossen öffentlichen Museen Einzug gehalten. Der Unterschied liegt wohl darin, das private Sammlungen wie Feuerle und Müller auch den Ort und die Architektur in den subjektiven Dialog einbinden, denn ihre Ausstellungsräume sind – anders als die meisten staatlichen Museen – weit davon entfernt neutrale Folien zu sein.
Eine Idee, zwei Räume und ein Ausblick
Auch wenn die Feuerle Collection und das Museum Insel Hombroich ähnliche Ansätze verfolgen, unterscheiden sie sich zugleich grundlegend: In Berlin trennen 2,5–3 Meter starke Stahlbetonwände die Sammlung von der Aussenwelt, während in Neuss-Holzheim transparente, aufgelöste Pavillonstrukturen prägend sind. Dadurch erscheint die Sammlung in Kreuzberg vom irdischen Raum gelöst.
Ob der Dialog der Geschichte(n) im zeitlosen Bunker so gut wie im wilden Garten funktioniert, wird sich zeigen, sobald die Kunstwerke in der Feuerle Collection platziert sind. Erste Möglichkeiten dies zu beurteilen bieten die Preview-Wochen vom 29. April bis zum 7. Mai, oder ein Besuch der 9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst vom 4. Juni bis 18. September 2016. Denn die Feuerle Collection wird einer ihrer wichtigen Standorte sein.
> Mehr zum architektonischen Potenzial aufgelassener Bauten lesen Sie in archithese 4.2017 Ruinen.