Zwischen Palais und Hangar
Nach dreieinhalbjähriger Bauzeit der Erweiterung und 13-monatiger Teilsanierung des Altbaus wurde am vergangenen Wochenende das Kunstmuseum Basel wiedereröffnet. Damit kann die Institution nun in drei Häusern insgesamt rund 10 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche bespielen. Die je zur Hälfte mit öffentlichen und privaten Geldern finanzierte und circa CHF 100 Millionen teure Ereiterung des Kunsthauses ist eine typische zeitgemässe Inszenierung einer öffentlichen, wachsenden Kunstsammlung. Mit Anleihen bei der Typologie des Stadtpalais zeigt es den Stellenwert von Kunst und Kultur für die Gesellschaft des 21. Jahrunderts.
Text: Anna Valentiny – 19.4.2016
Ein neuer Platz
Am Rand der Basler Altstadt kreuzen sich Rittergassse, St. Alban-Graben und Dufourstrasse. Dem dicht befahrener Verkehrknotenpunkt folgt 20 Meter nördlich eine Brücke über den Rhein nach Basel-Wettstein. Der Flaneur wird mit einer auffangenden Geste vom Neubau des Kunstmuseums zum Verweilen eingeladen. Während die einspringende Ecke des Volumens den St. Alban-Graben in seiner zum Rhein laufenden Kurve stärkt, führt die aus Nord-Westen kommenden Ritterstrasse unmittelbar auf den Neubau zu. Die Addition des Baus aus zwei, sich im stumpfen Winkel verschneidenden Körper, fasst den Raum der Kreuzung und macht ihn zum Vorplatz. Der Eingang der Erweiterung schaut zu den Arkaden des Hauptbaus hinüber.
Ein Palais für die Kunst
Der Neubau kann als Interpretation eines barocken Stadtpalais gelesen werden und baut zugleich zahlreiche Referenz zum neoklassizistischen, von Paul Bonatz und Rudolf Christ 1936 errichteten Altbau auf. Der archaisch wirkende Neubau hat eine dezente klassische Gliederung in Sockel, Körper, Fries und Abschluss. Dabei sind diese Begrifflichkeiten eher analoger als formaler Natur. Zugleich wird die Museumsfassade durch die farblichen Nuancen des verwendeten dänischen Wasserstrichziegels strukturiert. Der Fries kündigt die erste Ausstellung an. Der Passant liest die Schattenfuge. Die in den Rillen der Friessteine eingelegten LED-Streifen beleuchten die Hohkehlen des Backsteins.
Räume schaffen
Das Haus beherbergt die älteste öffentliche Kunstsammlung der Welt (Zum Verhältnis von öffentlichen und privaten Sammlungen im musealen Kontext siehe auch: «Die Alten Khmer betrachten Anish Kapoor»). Der Schweizer Diplomat und Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein bewahrte 1661 die private Sammlung der Familie Amerbach, das Amerbachsche Kabinett vor dem geplanten Verkauf nach Rotterdam und die Kollektion wurde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die über die Jahrhunderte kontinuierlich wachsende Sammlung entwickelte sich zu einer der bedeutendsten ihrer Art weltweit. Das in den 1930er-Jahren gebaute Museum konnte in Hinsicht auf Funktionalität, Raumvolumen und Fläche schon bald nicht mehr die Struktur liefern, der es bedurfte, um die Kunstwerke adäquat auszustellen. So konnten nur circa fünf Prozent der Sammlung der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich gemacht werden. Für Sonderausstellungen musste improvisiert werden. 1980 wurde das Kunstmuseum Basel Gegenwart am St. Alban-Rheinweg gebaut. 2005 wurde es saniert und renoviert.
Erweiterungen
Ein Neubau sollte die Platznot lindern. Die Laurenz Stiftung stellte die Parzelle «Burghof» an der Dufourstrasse 5 zur Verfügung. Nach einer städtebaulichen Studie von 2008 wurde ein internationaler Architekturwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich über 200 Büros, darunter fünf Pritzker-Preisträger beteiligten und als dessen Gewinner Christ & Gantenbein hervorgingen.
Der Hauptbau wurde nach rund 13-monatiger Teilsanierung wiedereröffnet. In ihm wird künftig die Sammlung europäischer Kunst vom 15. Jahrhundert bis zur frühen Moderne gezeigt werden, während im Neubau neben Sonderausstellungen Werke der 1950er- bis 1990er-Jahre mit einem Fokus auf amerikanische Kunst präsentiert wird. Gezeigt werden beispielsweise Arbeiten von Barnett Newman, Andy Warhol oder Donald Judd. Ein unterirdischer Saal verbindet Neu- und Altbau. Im rund fünf Gehminuten vom Neubau entfernten Kunstmuseum Basel Gegenwart werden schliesslich Werke von 1990 bis heute ausgestellt.
Neben seiner reinen Funktion als zeitgemässes Ausstellungshaus muss das Museum von Christ & Gantenbein eine grosse Zahl weiterer Anforderungen erfüllen. So war ein unterirdisches Depot und eine eurokonforme Anlieferung für Kunstgegenstände gefordert.
Sichtbare Konstruktion
Bereits im Osttrakt des neoklassizistischen Altbaus, dort wo eine Treppe in den unterirdischen Verbindungssaal zum Neubau führt, kamen neue, sandgestrahlte Betonelemente zum Einsatz, die aus der Konstruktion der Decken im Altbau abgeleitet wurden. Die Träger sind sichbar, dazwischen liegen LED-Röhren – ein Element, das sich durch den gsamten Neubau zieht. Sie lassen die Decke elegant, aber zugleich massiv erscheinen. Das erzählt von der Philosophie des Gewinnerteams: Christ & Gantenbein sprechen vom verbindlichen, authentischen Charakter ihrer Architektur. In einer Zeit in der sich alle Begriffe verflüssigen, setzen die Architekten auf eine präsente Darstellung der Konstruktion.
Schwellen
Die Wände des Neubaus sind – ebenfalls als Referenz auf den alten Bau – rauh verputzt, wobei sich die Kolorierung des Gemischs von einem Braun-Grau im Altbau zu einem kalt grauen Ton im Neubau entwickelt. Der Vorraum zur Unterführung ist mit hellgrauem, geäderten Bardiglio-Marmor belegt.
Man überwindet ein Geschoss über eine Treppe und gelangt durch einen 15 Meter langen Raum in eine Halle. Hier kann von Ausstellung, über Veranstaltung bis zu Empfängen alles Mögliche stattfinden. Die östliche Raumseite nimmt eine Arbeit des amerikanischen Konzeptkünstlers Sol LeWitt ein. Hinter der Kulisse und vorm Blick des Besuchers verborgen befindet sich die kunstlogistische Maschinerie der Institution: Die unterirdischen Museumsdepots liegen Richtung Süden.
Die daran anschliessende, zentrale Treppe macht wiederum viele Referenzen an die grosse Treppe im Bestandsau, greift deren Putz und Marmor am Boden auf.
Der Grundriss des Neubaus ist als Zusammspiel zweier, sich partiell überlappender Kuben zu lesen, die an den flankierenden Strassenachsen ausgerichtet sind und in ihrer Mitte, quasi in einem unregelmässigen üppigen Restraum durch die monumentale Treppe erschlossen werden. In jedem Geschoss des Erweiterungsbaus befinden sich zwei Ausstellungstrakte, die durch den zentralen, monumentalen Erschliessungsraum horizontal wie vertikal verbunden werden. Die Säle sind im Vergleich zur expressiven Raumfigur von Treppe und Foyer rechtwinkelig. Dabei variieen die Grössen der Räume zwischen Kabinett und Halle.
Materialikonografien
Bei den Materialen wurde ein Cross Over gewagt. Marmor trifft auf feuerverzinkten Stahl, Archaisches und Dauerhaftes auf Industrielles und Billiges. Türen und Fenster wurden bewusst zeitgemäss gestaltet. Bei ihnen kamen industriell gefertigte und günstige Materialien zum Einsatz.
Rau verputzten, vertikalen Betonelementen wurden in den Sälen an den Kanten abgesetzte, weisse Gipswände vorgestellt - ein Versuch die geforderten White Cubes zumindest teilweise zu brechen. Während die Ausstellungsräume als Rundgänge und mit ihrem Spiel zwischen konstruktiver Präsenz und zurückhaltender Materialität gut funktionieren und intelligent inszeniert wurden, ist der Bodenbelag im gesamten Ausstellungsbereich schwierig: Das Eichenparkett wirkt durch helle Verfügungen in seiner Kleinteiligkeit irritierend. Die darauf platzierten Kunstobjekte erscheinen in einem allzu konnotierten Kontext. So wird ihre Eigenständigkeit und dadurch auch ihre Wertigkeit geschmälert.