Das aktuelle Heft: Rückzug
Mehr Urbanität, Gemeinschaft und Begegnung – derzeit gibt es im Architekturdiskurs einen Imperativ, so viel Miteinander wie möglich zu initiieren. Beim Verdichten von Städten und neuen Quartieren bis hin zu einzelnen Bauwerken, in Büros und Wohnungen wird stets nach Lebendigkeit, Gemeinsamkeit und Interaktion gefragt. Doch das liegt längst nicht allen. In archithese 2.2019 Rückzug haben wir einer Gegenbewegung nachgespürt.
Text: Jørg Himmelreich – 1.6.2019
Analysiert man neu erscheinende Bücher, Trends in Lifestyle-Blogs oder das Freizeitverhalten der Menschen, scheint nämlich genau das Gegenteil gefragt zu sein: Rückzug, die Möglichkeit zur Entschleunigung, allein und man selbst sein zu dürfen, Zeit zum Nachdenken oder Nichtstun zu haben. Die einsame Hütte in unberührter Natur (#cabinporn) und eine neue Lust outdoor zu sein, werden promotet. Die Sehnsucht nach einsamen Seen und Stränden zieht die Menschen in immer entlegenere Gegenden. Damit verbunden ist oft eine Suche nach Sinn – Pilgerrouten und Yoga Retreats boomen. Immer häufiger keimt der Wunsch auf, aus dem Hamsterrad auszubrechen; zweitweise oder für immer. Doch damit verstärken sich bestehende ökologische und logistische Probleme: Mehr Mobilität führt zu noch mehr Infrastruktur und Energieverbrauch; noch mehr Zweitwohnungen in Agrarwirtschafts- und Naturräumen verursachen noch mehr Zersiedelung.
Mit dieser Ausgabe der archithese versucht die Redaktion, die Bedürfnisse nach Rückzug ernst zu nehmen und ihnen im Architekturdiskurs wieder Gewicht zu verschaffen. Die Redaktion hat aber auch eine klare Vorstellung, wo die zeitgemässen (neue) Rückzugsräume angesiedelt sein sollten: Wenn immer möglich müssen sie in den (zu verdichtenden) Städten und Agglomerationen liegen. Rückzug – das wird in vielen Essays in diesem Heft ebenfalls deutlich – ist nämlich nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit «sich verweigern» und «ausklinken», sondern häufig vielmehr mit «sich re-formieren» im Sinne von «sich überdenken» oder «neu aufstellen». Insofern könnte dieses Heft ebenso gut Reflexion oder Aufbruch heissen.
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