Das aktuelle Heft: Belgien
Das Land Belgien ist klein – ja, sogar kleiner als die Schweiz. Auf 30 700 Quadratkilometern Fläche leben in Belgien zwölf Millionen Einwohner*innen, was das Land zu einem der am dichtesten besiedelten Europas macht. Der Urbanisierungsgrad – also die Anzahl der Personen, die in Agglomerationen von mehr als 10 000 Personen leben – liegt mit 98,2 Prozent über dem europäischen Durchschnitt von 75,5 Prozent. Belgien ist also urban, zudem geprägt von einer weit zurückreichenden Industriegeschichte. Und Belgien baut – «Better ugly than boring», wie einst in der Publikation Ugly Belgian Houses (2015) mit Beiträgen von Peter Swinnen und anderen pointiert festgestellt wurde.
Doch in den vergangenen Jahren erfährt die zeitgenössische Architekturszene Belgiens verstärkt internationale Aufmerksamkeit. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Architekturdepartements der Schweizer Hochschulen, wo derweil vermehrt Architekt*innen aus Belgien in der Lehre tätig sind. Dieser Erfolg kam nicht von ungefähr, denn es bedurfte einer speziellen Gemengelage, das zu ermöglichen. Dazu gehören innovative Büros, politische Initiativen und organisatorische Strukturen, die allerdings in den verschiedenen Landesregionen Flandern, Wallonien und der Hauptstadt Brüssel unterschiedlich verteilt und intensiv ausgebildet sind.
Im vorliegenden Heft wird diesen Initiativen nachgespürt. Mal geht der Blick zurück in die Geschichte – für die Postmoderne ist Belgien ein Schlüsselland, denn die Kollateralschäden der Modernisierung von Städten stiessen dort eher auf Kritik und Widerspruch als anderswo. Wichtig ist aber auch der Blick auf aktuelle Tendenzen. Dazu zählt das Prinzip des Wettbewerbswesens, das von den städtischen und regionalen Bouwmeestern oder Maîtres Architectes auf vorbildliche Weise genutzt wird.
Brüssel stellt aufgrund seiner Heterogenität dahingehend ein interessantes Stadtlabor dar, was in der zweiten Hefthälfte genauer untersucht wird. Die zweisprachige Enklave im flämischen Landesteil besteht aus 19 Gemeinden, die gemeinsam die Region Brüssel-Hauptstadt bilden. Zudem hat die Europäische Union in Brüssel einen ihrer Sitze. Diese Überlagerung von Zuständigkeiten und Kompetenzen schafft ein komplexes Gemisch und zahlreiche Unklarheiten, was jedoch Spielräume eröffnet, die genutzt werden können. Dass die meisten jungen Architekturbüros des Landes sich in Brüssel ansiedeln, ist somit kein Wunder: Sie profitieren von dieser programmatischen Offenheit und einer Atmosphäre, die regional und international zugleich ist.
Die Redaktion
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