Collagierte Architekturen
Anastasia Savinova setzt in ihren eklektischen Collagen der Serie Genius Loci mehrere Fotografien zu neuen Architekturen zusammen. Es scheint, als ob sie den dreidimensionalen Raum nochmals erlebbar machen sollen. Die künstlerischen Arbeiten lassen sich nicht nur als visualisierte Erinnerungen einer Reisenden lesen, sondern auch als Plädoyer für den Erhalt und die Wertschätzung einer vernakulären Baukultur. In archithese 3.2017 Bri-Collagen zeigen wir im Ausklapper eine ihrer Arbeiten. Zudem finden Sie hier eine umfangreiche Galerie.
Text: Cyrill Schmidiger – 4.9.2017
Zwischen Erinnern und Vergessen
«Some places invite us to stop for a while, to look around, to touch ragged old walls. These places awaken our memories.» Savinova war schon in ihrer 2010 entstandenen Serie Fragments / Mosaic of Memory von der Atmosphäre bestimmter Orte fasziniert. Aber anders als bei Genius Loci interessierte sie dabei vor allem das Phänomen der menschlichen Erinnerung, das die Künstlerin mit einer architektonischen Metapher skizzierte: Erinnern basiere auf individuellen Bausteinen, denen die gesammelten Erfahrungen unserer subjektiven Wahrnehmung anhaften. Savinova illustrierte dieses Konzept anhand einer mosaikartigen Darstellung von fingierten bricks. Mehrere Stellen dieser Collagen auf Karton bleiben aber leer oder patiniert. Sie repräsentieren vergessene Momente. Geometrische Formen und farbliche Reduktion bestimmten dabei das Bild – es sind Merkmale, die das Frühwerk der russischen Künstlerin generell charakterisieren.
The Spirit of the Place
Setzte sich Savinova mit Fragment / Mosaic of Memory gestalterisch noch eher abstrahierend mit dem Thema Erinnerung auseinander, so wird sie bei Genius Loci vergleichsweise konkret. In dieser Serie flaniert sie gedanklich durch verschiedene Orte, absorbiert deren eigentümliche Stimmung und sucht nach genuinen Zeichen. Es sind architektonische Motive, die Savinova fotografiert, sammelt und als Collage neu arrangiert – mal komplette Fassaden, dann wieder einzelne Elemente, regionale Materialien oder typische Konstruktionen. Manchmal kommen auch ortsspezifische Naturkulissen hinzu. Sie werden mit der Architektur kombiniert und sollen ebenfalls den lokalen way of life illustrieren. Anfangs gestaltete Savinova diese Bilder als persönliche Erinnerungen, doch nach mehreren Reisen avancierte die Arbeit zum Kunstprojekt.
Wider dem Uniformen
Die Collagen sind nicht einfach fiktionale Stadtansichten. Auf der Suche nach dem jeweiligen genius loci fokussieren sie die charakteristischen Räume der dargestellten Orte, dokumentieren tradierte Typologien und offenbaren historische Wohnformen. Damit wirft die Künstlerin eine Frage von soziokultureller Relevanz auf: Welchen Wert hat unser baukulturelles Erbe? So können ihre Arbeiten mitunter als Plädoyer für die Wertschätzung der vernakulären Architektur interpretiert werden. Savinova betont denn auch, dass sie mit diesen Collagen die Globalisierung kritisiere, die sie als Gleichmacherei versteht. Die Künstlerin ist hingegen von der Vielfalt unterschiedlicher Lebensstile und von lokalen Eigenheiten – auch kulinarischen oder sprachlichen – fasziniert. Sie begreift diese als Formen einer kollektiven Identität.
Die Ambivalenz des Alten
Savinova meidet touristische Hotspots, die ihrer Meinung nach nur noch als theatralische Kulissen dienen. «Sprachlose Architekturen» nennt sie diese. Es sind degradierte Bauten ohne genius, entfremdet vom loco und dadurch nahezu surreal. Stattdessen interessiert sich die Künstlerin für elementare und authentische Entwürfe sowie für soziale und ökologische Fragen. Ihre Collagen konservieren einen Status quo und propagieren für die Nachhaltigkeit der als genuin erfassten Gebäude. Doch Savinova fordert nicht dogmatisch den Erhalt von historischer Bausubstanz, wenn es städtebaulich oder finanziell keinen Sinn mache.
Organische Gebilde
Historisch gesehen sind Collagen – anders als Montagen – tendenziell homogene Bilder. So auch bei Savinova, die ihre fotografischen Motive harmonisch kombiniert und aus den einzelnen Elementen neue Architekturen aufbaut. Das daraus resultierende organische Gebilde nimmt mehrere Epochen in sich auf, verbindet diese aber durch eine gemeinsame kulturelle Kodifizierung. Die künstlerische Strategie der Irritation, die viele Collagen ihrem fragmentarischen Wesen nach auszeichnet, reduziert sich darum praktisch auf ein Minimum. Die zeitliche Diskrepanz der verschiedenen Schichten existiert fort, ohne das die Darstellung jedoch zum platten Eklektizismus gerät: Die einzelnen baukulturellen Codes sind in einen Kontext eingebunden, der die genuinen Zeichen eines Ortes versammelt und so als Ganzes authentisch bleibt – als persönliche Erinnerung wie auch als Zeugnis vergangener Traditionen.
Anastasia Savinova (*1988 in Sverdlovsk, heute Jekaterinburg) studierte Design in Samara und lebt momentan im schwedischen Umeå. Nach ihrem Master arbeitete sie als Designerin und Innenarchitektin. Derzeit ist sie ausschliesslich als freie Künstlerin tätig. Ihr Œuvre umfasst Collagen, Zeichnungen und Performances.