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Fussballstadion aus «Bricks»

Herzog & de Meurons gemauerter Entwurf für den FC Chelsea bricht mit Erwartungshaltungen

 

Text: Elias Baumgarten – 3.12.2015
Visualisierungen © Herzog & de Meuron

 

Als gestern die ersten Bilder von Herzog & de Meurons Entwurf eines neuen Stadions für den FC Chelsea für London in den sozialen Medien die Runde machte, fiel unmittelbar auf: Form und Materialität entsprechen beileibe nicht dem, womit man angesichts der Bauaufgabe rechnen würde. Keine spektakulär in Szene gesetzte Stahlkonstruktion, keine Membranen oder bunt beleuchteten Pneus, sondern traditionelle englische «Bricks», die, entsprechend der Baustofflogik zu gewaltigen Bögen zusammengesetzt, Formen ergeben, wie man sie eher von Kirchen, Fabrikhallen, Eisenbahnviadukten oder den unzähligen Terrace Houses kennt. In den Visualisierungen sind die Kanten dieser Konstruktion nicht akurat, sondern bereits «ausgefranst» und vermitteln so den Eindruck, sie stünden schon seit geraumer Zeit dort.

Wenn Herzog & de Meuron schreiben, ihr Entwurf sei von gotischer Architektur inspiriert und den «Brick Terraces» der Viktorianischen Zeit, so möchte man ergänzen, dass er wohl noch weitere Traditionslinien aufgreift, indem er sich den umliegenden Wohnquartieren annähert: Die soziokulturelle Bedeutung des Fussballs als Arbeitersport beispielsweise. Auch Assoziationen zu Amphitheatern der Antike und deren Einwachsen in sich verändernde Stadtstrukturen werden wachgerufen, beispielsweise an die Piazza Bra' in Verona. Kurz: Die Schweizer Architekten greifen Bausteine britischer und antiker Identität auf, adaptieren sie und fügen sie zu einer neuen Architektur zusammen, die zugleich mit Erwartungshaltungen und Konventionen bricht. 

Dieses Aktivieren tradierter Elemente für neue architektonische Ausdrücke und städtebauliche Setzungen greift mehrere Diskursstränge auf, mit der sich die Redaktion der archithese in den letzten Monaten auseinandergesetzt hat. In unserer Dezember-Ausgabe Tradition | Adaption | Innovation reflektiert Frank R. Werners über das Architekturgeschehen in Deutschland und resümiert: es habe neben der Avantgarde der «Formzertrümmerer» immer auch jene des Bewahrens gegeben – auch wenn das in der überstrapazierten Rhetorik eines Gegensatzes von Avantgarde und Traditionalisten häufig unterging. Herzog & de Meurons Entwurf ist eine weiteres kraftvolles Indiz dafür, dass Architekten sich derzeit häufig mit einem tradierten Formenrepertoire auseinandersetzen, um es in einer Weise zu verwenden, die – zwischen Kopie und Interpretation oszillierend – zu überraschenden und zugleich vertraut wirkenden Projekten führt.

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