Fliessend
Die 13. Kunstbiennale von Shanghai möchte mehr sein als ein fulminanter Kunstgenuss. Sie will eine Plattform bieten, um die menschliche Kultur ganz grundsätzlich zu hinterfragen – aktuell vor allem unser Verhältnis zur Natur. Die Wahl von Andrés Jaque zum Kurator war daher eine grossartige Besetzung. Denn dessen Office for Political Innovation operiert an den Schnittstellen von Architektur, Urbanismus, Kunst, Performance und Aktivismus. Entsprechend wird die Schau in China dieses mal eine acht Monate dauernde Kaskade von Events sein. Organisiert in drei Phasen werden Künstler, Kollektive, Aktivisten und verschiedene Institutionen zwischen dem 10. November 2020 und 27. Juni 2021 Ihre Ideen und Projekte vorstellen.
Text: Jørg Himmelreich – 11.6.2020
Abbildungen © PSA
Der aus Spanien stammende Architekt Andrés Jaque stellt mit seinen Arbeiten Konventionen in Frage und versucht verborgene Mechanismen sichtbar zu machen, die auf unsere gebaute Umwelt jedoch massgeblich Einfluss nehmen. Neben gesellschaftlichen Normen und ökonomischen Interessen sind das vor allem Weltbilder – Sichtweisen, die wir meist als unverrückbar annehmen, die aber letztlich bloss subjektive Setzungen sind. Um dies offfen zu legen, nutzt sein interdisziplinäres Team des Office for Political Innovation verschiedene Mittel und Medien – von Architektur, Urbanismus, Kunst, über Performance bis zum Aktivismus. Seine jüngsten Arbeiten zeigen, dass Jaque eine kritische Reflexion über das Verhältnis der Menschen zur Natur ein besonderes Anliegen ist. Er plädiert dafür, zu versuchen unser vorrangig menschbezogenes Denken zu überwinden und stattdessen auch an die Bedürfnisse von Tieren und Pflanzen zu denken. Um das schmackhaft zu machen, visualisiert er, wie dabei alle Spezies profitieren können.
Ein starkes Team
Jaque hat You Mi, Marina Otero Verzier, Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos zu weiteren Kuratorinnen ernannt. Gemeinsam wollen sie unter dem Übertitel 水体 Bodies of Water eine Schau zusammentragen, welche die Besuchenden dazu animieren soll, sich für eine «planetare Wiedervereinigung» einzusetzen. Es geht um ein neues solidarisches Verständnis: Jeder soll sich für alle Orte und Spezies der Erde interessieren oder gar verantwortlich fühlen. Es soll eine Wahrnehmung etabliert werden, dass alle Menschen und Ihre Körper unmittelbar mit der Umwelt in Verbindung stehen. In den Worten von Jaque klingt das so: «From the depth and tempo of breath to the evolution of an ecosystem, the Biennale will reflect on how collectivities are made tangible and bodied in wet-togetherness, exploring diverting forms of aqueousness. Beyond the confines of flesh and land, the curatorial proposal considers how discharging, breathing, transfusing, flushing, and decomposing are ways in which bodies exist together.»
Neue Lesung einer alten Hafenstadt
Die Biennale beschäftigt sich aber auch ganz konkret mit dem Austragungsort – der Geschichte und Geografie von Shanghai und deren besonderem Verhältnis zum Wasser. Der Jangtse-Fluss wie auch der Jing-Hang Kanal sollen thematisiert werden – jedoch nicht als wichtige Schifffahrtsrouten, sondern als Ökosysteme. Denn beide transportieren Sedimente, mineralische und organische Stoffe, welche Grundlage sind für die Fruchtbarkeit der Böden im Jangtse-Delta. Vom Bild des Flusses ist auch die fluide Form der Präsentation inspiriert. Sie werden sowohl in der Power Station of Art, an verschiedenen Orten entlang des Flusses, als auch online, in den Sozialen Medien und im TV gezeigt. Statt Kunst als autonome Disziplin zu artikulieren, soll sie auf der Biennale mehr denn je als Schnittstelle zu anderen Disziplinen – allem voran zu Forschung und Wissenschaft dienen. Sie will zum Nachdenken und im besten Fall gar zum Handeln anregen.
Alle Informationen zur Biennale und das genaue Programm finden Sie auf shanghaibiennale.org