Blue Links. Cyanotypes. Daniela Keiser
«Lange schon trieb mich die Frage um, ob in den Formen, Konstellationen und Strukturen der Natur eine Ordnung für das Denken ablesbar, ja, diesem vorgeschrieben und also eine Strukturanalogie oder gar Homologie von Welt und Gedanken zu entdecken sei.»1
Wir wagen den Blick «out of the box» – fern von dem, was herkömmlich als Architektur verstanden wird. Wir schauen auf die Fotografien von Daniela Keiser, die noch bis zum 26. Juni 2022 in der von Linda Schädler kuratierten Ausstellung Blue Links. Cyanotypes. Daniela Keiser in der Grafischen Sammlung der ETH Zürich betrachtet werden können.
Text: Nele Rickmann, 10. Juni 2022
Wir sehen die Farbe Blau: die Königsfarbe, das Mysteriöse, das Tiefe und Fliessende, das Wasser, den Himmel, das Leben. Im cyanotypischen Verfahren aufwendig auf grossformatiges Papier gedruckt, präsentiert die Künstlerin Fotografien einer vermeintlich anderen Welt und spielt dadurch mit unserer unbewussten Wahrnehmung. Wir verlieren uns in Mustern und Strukturen, verlieren Kontext und Massstab und betrachten fasziniert die Formen der Natur.
Ein Link zur Architektur wird unmissverständlich deutlich, der ebenso tief verankert ist wie die Geologie der Erde: Tektonik. Wenn wir von Tektonik in der Architektur reden, meinen wir das Fügen einzelner Bauteile. Dabei ist das (Archi-)Tektonische nicht nur konstruktiv zu verstehen, sondern verweist ebenfalls auf sinnbildliche und symbolische Erscheinungsformen. Nicht ohne Grund weist Tim Kammasch in seinem Text, der in der gleichnamigen Publikation zur Ausstellung unter vielen weiteren interessanten Beiträgen über und in Verbindung mit den Fotografien der Künstlerin zu lesen ist, auf die «Gesteinsformationen mit auffälligen Strukturen, Architekturen und Mustern»2, die an surreale Welten erinnern könnten, obwohl sie eigentlich das Wirkliche abbilden. Er selbst reiste Daniela Keisers Bildern hinterher und suchte nach der «Faszination Natur», die mit dem menschlichen Unbewusstsein verwoben zu sein scheint – so erklärt er in einem öffentlichen Gespräch mit der Künstlerin und der Kuratorin, in dem die Wirkung der Bilder, Inspirationen und die Reise besprochen wurden.
Ohne weiter einer wissenschaftlichen Begriffsdeutung zu folgen, wollen wir uns von der Wahrnehmung der Fotografien leiten lassen, die vor allem durch ihre wandgrossen Erscheinungen wirken. Sind die Motive im Massstab 1:1 abgelichtet oder gar übergross? Wir wissen es nicht, und das ist auch gut so. Wir verlieren uns in den Tiefen des Blaus. Nicht nur ein Blau, viele unterschiedliche Blautöne sind es, die die Bilder in Kontrasten prägen und starre Formen zum Fliessen bringen, wie auch fliessende Dinge steinhart erscheinen lassen – Aggregatzustände scheinen sich umzukehren. Der Wasserfall Cascade du Ray-Pic wird auf dem gleichnamigen Bild (304 x 112 cm) zu schneidenden Stahlseilen, die sich in eine dahinschmelzende blaue Wand bohren. Besonders eindrücklich: Der Emma Kunz Steinbruch (330 x 250 cm) schiebt sich wie eine Welle – oder ein eiserner Gletscher? – über ein winzig erscheinendes Haus. Welcher Macht der Natur stehen wir gegenüber? Aus welcher Urzeit entspringen Form und Struktur? Welcher Tektonik folgen wir?
Die Natur konfrontiert uns mit dem, was am tiefen Grund unserer Wahrnehmung liegt. Durch die Cyanofotografien von Daniela Keiser werden diese Dinge sichtbar, ja regelrecht entblösst. Natürliche Gegebenheiten werden entkontextualisiert, auseinandergerissen und auf den Bildern, die eigentlich mehrere Bilder sind, kompositionell wieder zusammengefügt. Deutlich wird: Keine Stelle ist so wie eine andere, kein Ort der gleiche, kein Stein ist noch einmal vorzufinden. Die Architektur der Erde macht die Unregelmässigkeit zur Regelmässigkeit, die Asymmetrie zur Symmetrie – die Bilder sind von Spannung und Einzigartigkeit geprägt.
1 Tim Kammasch, «Inständig schaffende Betrachtung zur blauen Mineralogie von Daniela Keiser», in: Blue Links. Cyanotypes. Daniela Keiser, Wien 2022, S. 156.
2 «Hier [in Barrika] wurde mir zur Gewissheit, was bei der Betrachtung ihrer Arbeiten noch unfasslich als Ahnung in mir aufgestiegen war und mich veranlasst hatte, zumindest einige dieser Orte aufzusuchen, an denen die Cyanofotografien, in denen Gesteinsformationen mit auffälligen Strukturen, Architekturen und Mustern zu sehen sind, entstanden waren. […] Sie mochten als Abbilder der äusseren Natur gelesen werden, doch schien mir diese auf solche Weise dargestellt, dass es sich ebenso gut um von der Künstlerin geschaffene imaginäre Szenarien handeln konnte […].», wie Fussnote 1, S. 148.
Blue Links. Cyanotypes. Daniela Keiser
Ausstellung 30. März bis 26. Juni 2022
Graphische Sammlung der ETH Zürich
> Weitere Informationen zur Ausstellung findet Ihr hier.