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Blinde Flecken der Architekturgeschichte

Der Verein ProSaffa1958-Pavillon ruft auf, für die Rettung eines kleinen Baus von Berta Rahm zu spenden. Die Architektin gehört zur ersten Generation Schweizer Architektinnen deren Werke in der Architekturgeschichte bisher kaum Beachtung finden. Der Pavillon hat dazu einiges zu berichten. Er sollte bleiben.

 

Text: Leonie Charlotte Wagner – 28.4.2020

 

Architekturgeschichte ist ein löchriges Unterfangen. In vielen dieser Lücken schlummern die Werke von Frauen. Den meisten Architekturstudent*innen begegnet bis heute in den Baugeschichtsvorlesungen keine einzige Architektin. Oft erzählen ihre Werke und Biografien über die misogynen Zustände in der Disziplin selbst. Frauen – die Hälfte der Weltbevölkerung – wurden aus diesem Prozessen Jahrhunderte lang ausgeschlossen. Das Lebenswerk von Berta Rahm (1910 –1998) ist eines dieser blinden Flecken. Neben ihrem architektonischen Schaffen erzählt es von den Mechanismen, die Frauen der ersten Generation Schweizer Architektinnen an den Rand drängten. Einige dieser Mechanismen wirken bis heute nach.

 

Ein-Frau-Büro
«Wir können uns nicht vorstellen, wie eine Frau mit den Behörden verhandeln soll.»1 Noch vor etwa 70 Jahren gehörte es zum Alltag einer Architektin, mit misogynen Aussagen wie dieser konfrontiert zu werden. Berta Rahm war eine von ihnen. 1934 diplomierte sie an der ETH Zürich. Nur elf Jahre vor ihr hatte Flora Crawford als erste Frau an der ETH graduiert. 1940 gründete Rahm ihr eigenes Ein-Frau-Büro. Sie nahm an zahlreichen Wettbewerben teil, wurde auch prämiert, erhielt aber nie einen öffentlichen Bauauftrag. Neben Einfamilienhäusern und Umbauten zählt der Nägeliseehof (Hallau, 1951), ein progressiver Bauernhof in Holzkonstruktionsweise zu ihren Werken. Besucher aus ganz Europa reisten damals an, um sich den Hof anzusehen. Er war der erste in Europa, der Tieren freie Bewegung ermöglichte.
1958 baute Berta Rahm einen Pavillonsanbau für die Saffa. Die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit fand am linken Seeufer in Zürich statt. Thema war die weibliche Berufstätigkeit in der Schweiz. Die Schau sollte die Leistungen von Frauen in der Gesellschaft sichtbar machen. Darüber hinaus ging es um politische Gleichstellung und das Recht auf Erwerbsarbeit. Bis dahin sollte es allerdings noch dauern: Das Schweizer Frauenstimmrecht wurde erst 1971 wirksam. Für viele Frauen war die Saffa eine Möglichkeit, in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden und im Idealfall zu positionieren. Berta Rahm war mit der Montage eines zerlegbaren Club-Pavillons aus Aluminium des Mailänder Architekten Carlo Pagani betraut. Diesem fügte sie einen kleinen Anbau hinzu. Der Annex ist eine eingeschossiger Aluminiumkonstruktion mit einer transluzenten Fassade, die im minuziös konziperten Innenraum, der verschiedene Funktionen vereinbart, eine besondere Lichtstimmung schafft. Nach der Saffa wurde der Pavillon von der Pilzzucht-Unternehmerin Erica Hauser gekauft und diente ihrem Betrieb in Gossau als Entspannungs-Raum, Kantine und Demonstrationsküche. Zurzeit ist der Pavillon in Besitz von Patrick Romanens. Aktuell liegt eine rechtskräftige Abbruchbewilligung vor. Der Verein ProSaffa möchte in Zusammenarbeit mit dem SNF Forschungsprojekt Saffa 1958, dedra, sie baut und dem baubüro insitu den Pavillon erhalten. Dazu soll er bis Mitte Mai abgebaut und eingelagert werden, bis ein geeigneter neuer Standort gefunden wurde. Sie können bis Ende Mai auf der Website des Verein ProSaffa spenden.

 

Zurückgedrängt
Die Geschichte von Berta Rahm geht aber noch weiter. Aus dem überschaubaren Material, das derzeit über sie zugänglich ist, geht eine starke Auseinandersetzung mit den Zuständen in der Architekturwelt der 1940er- bis 1960er-Jahre hervor. Immer wieder wurde sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert und daran gehindert zu bauen. Anfang der 1960er-Jahre wollte sie in Hallau auf dem Grundstück ihrer Mutter drei Wohneinheiten realisieren. Ihr Baugesuch wurde mit der Begründung im betreffenden Gebiet existiere kein Bebauungsplan, kein Quartiersplan und es fehle an der erforderlichen Kanalisation abgelehnt. Kurz danach baute der Baureferent der Gemeinde im selben Quartier einen Neubau nach dem anderen. Rahm zog den Fall bis vors Bundesgericht – vergeblich. Juristin Gertrud Heinzelmann stellt in ihren Schlussbetrachtungen zum Fall fest, «dass in unserem Rechtsstaat fehlerhafte Staatsakte vorkommen, die durch keine Instanz korrigiert werden. In den nordischen Staaten hätten die durch behördliche Willkürakte geschädigte Architektin die Möglichkeit, sich an den Ombudsmann zu wenden. Bei uns darf sie lediglich auf der Tribüne zuhören, wie sie aufgrund falscher Sachdarstellungen persönlich verunglimpft wurde.»2 1966 schliesslich kehrte Rahm der Architektur frustriert den Rücken und gründet den ALA-Verlag, der Literatur über und von Frauen publizierte.

 

Wer schreibt Geschichte?
Die Geschichte des kleinen Saffa Baus ist geradezu emblematisch für die Geschichte der Frau in der Architektur. Zuerst durfte die Architektin, die zuvor mit aufwendigen Vorarbeiten für die Saffa betraut worden war, lediglich einen kleinen Anbau an den Hauptpavillon eines männlichen Kollegen realisieren. Eigentlich hatte sie Projektleiterin der Saffa werden wollen, doch die Organisatorinnen zogen Annemarie Hubacher-Constant vor «weil sie einen Mann hat, der sie ersetzt, falls sie zusammenbricht.»3 Interessant ist auch, dass sich nach Ende der Saffa eine Frau für den Pavillon interessiert, ihn kauft und so zum ersten Mal rettete. Auch heute sind es mit dem Verein ProSaffa1958 wiederum vor allem Frauen, die sich für dessen Erhalt einsetzen. Auch alle Texte, die bisher zu Berta Rahm geschrieben wurden – inklusive diesem Artikel – sind von Frauen verfasst worden. Somit wäre die Geschichte von Architektinnen eine, die vor allem von Frauen geschrieben wird.
Die enormen Anstrengungen, die Architektinnen wie Berta Rahm auf sich nehmen mussten, um sich den vorherrschenden Vorurteilen und Machtstrukturen in einer männerdominierten Disziplin zu widersetzen, sind heute schwer vorstellbar. Die Architekturwelt ist wesentlich weiblicher geworden. Den Statistiken des Gender Monitorings 2018/19 der ETH Zürich zufolge sind beispielsweise 43 Prozent (Master) und 47,9 Prozent (Bachelor) der Architekturstudierenden der ETH Frauen. Auf der obersten Hierarchie- und Einkommensebene sieht es allerdings ganz anders aus: Volle Professuren werden nur zu 15,4 Prozent von Frauen besetzt.4 Solange dort, wo die «offizielle» Architekturgeschichte geschrieben wird weiterhin wenig Frauen vertreten sind, werden die blinden Flecken bleiben.

 

1 Berta Rahm im Gespräch mit Yvonne-Denise Köchli, «Wie soll denn eine Frau mit Behörden verhandeln?» In: Die Weltwoche, 13.5.1993, S. 8.
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Departement Architektur der ETHZ (Hg.), Gender Monitoring Departmentsbericht, Zürich 2018. online auf: ethz.ch/content/dam/ethz/associates/services/Anstellung-Arbeiten/chancengleichheit/Strategie_und_Zahlen/monitoring-und-studien/1819/Departementalreport/PUB_190921_ARCH_Departementsbericht_2018.pdf

 

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