Biotechnik und Science-Fiction
Pierre Huyghe gestaltete im Rahmen der Schau Skulptur Projekte Münster 2017 ein fantasievolles Werk: die Installation After ALife Ahead in der stillgelegten Eissporthalle der Stadt – oder mit deutschem Titel Nach einem K-Leben vor dem, was kommt – erinnert an ein biotechnisches Labor, das einem Science-Fiction-Film entsprungen sein könnte.
Text: Cyrill Schmidiger – 13.7.2017
Ein (an-)organisches Sammelsurium
Ammoniak, Sand, Ton und schaltbares Glas, aber auch Bakterien, Algen, Bienen oder menschliche Krebszellen. Das sind nur einige Zutaten, aus denen sich Huyghes neustes Werk zusammensetzt. In seinem Œuvre untersucht er oft anhand von komplexen Systemen das breite Spektrum an Lebensformen, unbelebten Dingen und innovative Technologien. Miteinander kombiniert, erzeugen diese unterschiedlichen Elemente dann Kunstwerke von biotechnischem und bisweilen fiktionalem Charakter.
Neue Systeme kreieren
Huyghes realisierte seine skulpturale Installation im stillgelegten Eispalast der westdeutschen Stadt Münster. Nach einem umfassenden Rück- und Umbau der ehemaligen Schlittschuhbahn intervenierte er dort mittels bio- und medientechnischer Eingriffe. Was den Künstler dabei besonders interessiert, ist die Interaktion der einzelnen Bausteine untereinander. Denn innerhalb dieses Konstrukts gelten andere Gesetze als in der von uns gewohnten Natur. In After ALife Ahead verändern Variationen in einem Textil-Kegelschnecken-Muster die räumliche Struktur, zum Beispiel das Öffnen und Schliessen eines pyramidenförmigen Fensterns in der Decke. Oder das Wachstum der Zellen löst die Entstehung von Augmented-Reality-Formen aus – also Formen der computergestützten Erweiterung der Realitätswahrnehmung wie etwa das Einblenden von Tabellen bei Sportsendungen. Dieser Mechanismus erzeugt ein Produkt, das aus realen wie fiktiven Elementen besteht, uns aber als einheitliches Ganzes erscheint. Eine ziemlich komplizierte Sache – gut also, bietet Kunst die Freiheit des Interpretierens.
Landschaft des Roten Planeten
Ein neugieriges Publikum, das an technischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Fragen weniger interessiert ist, kann in Huyghes Werk eine kreative Kunstlandschaft entdecken: Beton und Erde, Ton-, Styropor-, Geröll- und eiszeitlich geformte Sandschichten erinnern an Bilder vom Mars. Mit Ameisen, Bienenstöcken oder Pfauen gibt es dort aber auch irdisches Leben. Mancher Betrachter mag sich ferner an Ruinen erinnert fühlen: Die teils mit Betonplatten bedeckten Erdhügel sehen aus wie architektonische Fragmente.
Huyghes verschmilzt in seiner Kunst sichtbare und unsichtbare Prozesse, statische und dynamische Systeme sowie reale und symbolische Architekturen zu einer neuartigen Symbiose. Sie beflügelt die Fantasie und lässt unterschiedlichste Deutungsansätze zu.
Die Schau Skulptur Projekte Münster dauern bis zum 1. Oktober 2017. Dabei sind an verschiedenen Orten im Stadtraum spannende Projekte zu entdecken.
> archithese widmet dem Thema Ruinen im Dezember 2017 ein eigenes Heft.