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Die Architektur als Thema in der Kunst: Das Kunsthaus Zürich präsentiert in einer Ausstellung kleine Veduten, grossformatige Gemälde, Fotografien und Skulpturen von Max Ernst, Bernardo Bellotto, Francesco Guardi, Vincent van Gogh, Nicolas de Staël, Thomas Struth und viele mehr und zeigt damit, wie Architektur über mehrere Jahrhunderte im Vorder- oder Hintergrund von Gemälden und Fotografien dargestellt wurde.
Text: Jørg Himmelreich – 19.10.2017
Zwischen Abbild und Fantasie
Die aktuelle Ausstellung des Zürcher Kunsthauses richtet den Blick zunächst auf die klassische Stadtvedute, die Zeugnis ablegt vom Aussehen eines Ortes, aber auch zum Erinnerungs- und Sehnsuchtsbild des Betrachters heranwachsen kann. Ausserdem zeigt sie, wie die Konstruktion von Architektur im Bild zum Spielfeld für Utopien und Visionen werden kann. Zwischen diesen beiden Polen – dem naturgetreuen Abbild und der Fantasie – haben Künstler in den vergangenen Jahrhunderten verschiedene Facetten des Architekturbildes dargestellt. Nicht immer lässt sich dabei eindeutig definieren, was Realität ist und was Vision ist. Dies wird beispielsweise am urrealistisches Bild «La ville entière» (1935/36) von Max Ernst sichtbar, das im Zentrum der von Gastkuratorin Manuela Reissmann konzipierten Ausstellung steht.
Die visionäre Stadt
Mit «La ville entière» malte Max Ernst eine Architektur, die wie aus einem Traum geboren scheint und an antike Tempelanlagen, Festungen oder den Turm zu Babel erinnert. Über einer ruinenartigen Burg wirft ein grosses Gestirn ein fahles Licht auf die Szenerie. Im Vordergrund rankt sich eine wilde Vegetation, in der sich hier und dort dämonenartige Wesen verstecken. Mitte der 1930er-Jahre entstanden, wird das Bild zur zeitkritischen Metapher: Angesichts der sich zuspitzenden Bedrohung eines weiteren Weltkrieges wachsen die Ängste vor dieser neuerlichen Katastrophe. Im Rückgriff auf eine an vergangene Kulturen gemahnende Architektur zeichnet Ernst in der Darstellung dieser leblosen Stadt eine Zukunftsvision, die eine düstere Stimmung erzeugt und zugleich von dem riesigen Gestirn erhellt wird. Im Krieg zerstörte Städte sind immer auch Sinnbild für menschliche Tragödien und kollektive Traumata. Der aus Venedig stammende und am Dresdner Hof erfolgreiche Bernardo Bellotto porträtiert in seinem Gemälde die im Siebenjährigen Krieg zerstörte Kreuzkirche in Dresden. Malerisch überhöht, stellt Bellotto der in Trümmern liegenden Kirche und den Ruinen im Hintergrund die unversehrten Bürgerhäuser und den aufstrebenden Neubau gegenüber. Als Chronist seiner Zeit schuf er mit diesem Bild ein mahnendes Zeugnis, vermittelt aber auch die Hoffnung auf eine neue Blüte der Stadt und seiner eigenen Karriere.(archithese widmet übrigens dem Thema Ruinen eine eigene Ausgabe. Das Heft wird am 1. Dezember 2017 erscheinen.)
Sehnsucht und Bildung
Italien gilt als Ort der Sehnsucht schlechthin. Seit dem 18. Jahrhundert galt die «Grand Tour» in wohlhabenden Kreisen als unerlässliche Reise; der Besuch berühmter Kunstschätze diente der Vervollkommnung bürgerlicher Bildung. Veduten der wichtigsten Orte wurden zu begehrten Andenken. In Venedig, dem unangefochtenen Zentrum jeder Italienreise, blühte der Handel mit Stadtansichten wie an kaum einem anderen Ort. Francesco Guardi fing die morbide Schönheit der Stadt unter anderem in variantenreichen Capricci ein. In diesen schuf er pittoreske Kompositionen aus Versatzstücken, die als typisch venezianisch gelten. «Altes Haus in der Lagune» zeigt in diesem Sinn ein dem Verfall preisgegebenes Gebäude mit Blick aufs Meer und bedient so das romantische Postkarten-Klischee Venedigs bis heute.
Zog Venedig früher die reiche Bourgeoisie an, so pilgern heute unablässig Touristenströme in die Lagunenstadt. Nicht allein die augenscheinliche Vergänglichkeit und die damit einhergehende nostalgische Verklärung ziehen die Massen an, es sind auch die zahllosen Kunstschätze und Prachtbauten. Thomas Struth setzt in der grossformatigen Fotografie «San Zaccaria» Giovanni Bellinis «Sacra Conversazione» ins Bildzentrum. In dem Gemälde deutet eine Scheinarchitektur eine nischenförmige Öffnung des Kirchenraums an; durch die Wiederholung der Formen in den Bögen, Säulen und Verzierungen ist der Übergang zum realen Kirchenraum fliessend. In Struths Fotografie überlagern sich die Realitätsebenen: Die Andachtsszene des Gemäldes verbindet sich mit der Situation im Kircheninneren, wo Menschen betend, schweigend, staunend auf den Bänken sitzen oder vor dem Gemälde stehen. Letztlich erweitert sich die Fotografie bis in den Museumsraum und bezieht uns als Betrachter mit ein.
Dass nicht nur Verklärung, Romantisierung und Sehnsucht mit Italien in Verbindung zu bringen sind, zeigt Nicolas de Staël. In «Agrigente» verrät einzig der Titel den Bezug zur gleichnamigen Stadt an der Südküste Siziliens. Das Motiv ist auf gerade so wenige Flächen und Farben reduziert, wie nötig sind, um in der Abstraktion eine an einem Hügel gelegene Architekturformation aufscheinen zu lassen. Das gleissende Licht der Sonne kippt ins Schwarz, jegliche Farben sind in der Hitze zu einem flirrenden Weiss verblichen und lediglich das Orange der Dächer markiert den Übergang von der Stadtsilhouette zum Himmel. Tief beeindruckt vom sizilianischen Licht malt de Staël die stilisierte Metapher einer südlichen Stadt.