Begehbares Bild
Glastisch, Drahtstühle, hinterleuchtete Vorhänge – Alfredo Häberli bespielt Fritz Glarners Kunstwerk Rockefeller Dining Room im Haus Konstruktiv mit einem neuen Interieur. Mit seiner zeitgemässen Gestaltung streicht der Argentinier die räumliche Dimension der Installation heraus und ermöglicht eine neue Lesung.
Autor: Anne-Dorothée Herbort – 9.11.2016
Bild: Fritz Glarner, Rockefeller Dining Room, ergänzte Installation von Alfredo Häberli, Museum Haus Konstruktiv, 2016. (Foto: Stefan Altenburger)
Seit dem 26. Oktober zeigt das Zürcher Haus Konstruktiv seinen letzten Ausstellungsblock des Jahres. Im Rampenlicht steht dabei Fritz Glarners malerische Ausgestaltung eines Speisezimmers aus dem Jahr 1964 – der Rockefeller Dining Room. Schon seit 2008 stellt das Zürcher Museum die Installation permanent aus. Nun entwarf der argentinische Designer Alfredo Häberli anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Hauses ein neues Interieur. Die eigens für die Ausstellung angefertigten Möbel und das neue Beleuchtungssystem bringen dem Besucher die ursprüngliche Bestimmung des Kunstwerkes als Esszimmer wieder näher.
Der Höhepunkt der Schau
Möchte man das Speisezimmer in Augenschein nehmen, durchläuft man zunächst Ausstellungsräume, welche derzeit Arbeiten der mit dem Zurich Art Prize dekorierten iranischen Künstlerin Nairy Baghramian und eine Auswahl der leuchtend-farbigen Bilder auf MDF-Tafeln des deutschen Künstlers Bernd Ribbeck beherbergen. Erklimmt man schliesslich das vierte Stockwerk, flankieren die Lichtinstallationen des Zürcher Künstlers Christian Herdeg den Weg zum Speisezimmer. Das Licht der farbigen Leuchtstoffröhren wird von den weissen Wänden reflektiert und erzeugt eine stimmungsvolle Atmosphäre die den Raum einhüllt. Das begehbare Bild von Fritz Glarner dockt an diese farbenfrohe Umgebung an und avanciert in dieser Dramaturgie zum Höhepunkt der Ausstellung.
Raum–Gemälde
Wandbilder gehörten zu Glarners Konzepts vom Relational Painting. Sie sollten Raumstimmungen erzeugen und der Architektur ein Mehr an ästhetischer Substanz einbringen. Durch die Gemälde, welche zu einer Raumhülle werden, lösten sich die Künstler des Konstruktivismus von der zweidimensionalen Zeichenebene und begeben sich in die dritte Dimension. So bestimmen sie die Gestaltung der Räume mit. Form und Fläche, Malerei und Architektur treten in unmittelbare Beziehung zueinander.
Zwischen Konkreter Kunst und Konstruktivismus
Die Gestaltung des Rockefeller Dining Rooms in New York knüpft an die Experimente und Vorstellungen der Pioniere der Konstruktiven Kunst in den 1920er-Jahren an: Damals war Glarner in Paris Teil des Künstlerkreises um Piet Mondrian und Theo van Doesburg, dem Ehepaar Delauney, Sophie Taeuber-Arp, Jean Arp und Georges Vantongerloo. Als einer der jüngsten verhielt sich der Zürcher zunächst zurückhaltend, schloss dann aber eine enge Freundschaft mit dem 29 Jahre älteren Piet Mondrian, die sich im New York der 1940er-Jahre weiter festigte. Glarner und Mondrian standen in regem Gedankenaustausch und das Schaffen beider Künstler scheint regelrecht ineinander überzugehen: Komplexe Beziehungen zwischen den Farben und die Interaktion der Formen standen im Vordergrund ihrer konzeptuellen Überlegungen.
Mit dem bemalten Esszimmer greift Glarner auch Vorstellung der Schweizer Künstler Max Bill und Hans Fischli auf, wonach freie Kunst und die Gestaltung von Alltagsprodukten zusammengehören: An der Schnittstelle zwischen ästhetischen Impulsen und sozialen Notwendigkeiten sollte das Aussehen einer zeitgemässen menschlichen Kultur kondensieren.
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Zunächst sollte der Dining Room nach dem Tod von Nelson A. Rockefeller in Teilen verkauft werden. Doch die Paul Büchi-Stiftung aus Frauenfeld kaufte das gesamte Werk in den 1980er-Jahren und schenkte es dem Museum Haus Konstruktiv. Nun bespielt Alfredo Häberli die Installation und ermöglicht eine neue Lesung: Weisse hinterleuchtete Vorhänge simulieren die Fenster. Der Raum scheint natürlich belichtet. Mittig steht ein Glastisch mit grauen Drahtstühlen, welche die Dimensionen und Proportionen des Raumes lesbar machen. Durch die Transparenz des Tisches und der Stühle erscheinen die Möbel wie «Leergerüste» und Häberli macht dem Besucher so rasch klar, dass es sich nicht um die originale Einrichtung des Zimmers handelt. Die zuvor museal wirkende Installation von Gemälden die von Wand zur Decke übergehen, avanciert durch Alfredo Häberlis zeitgemässen Eingriff zum kraftvollen Raumbild.
Er lädt die Museumsbesucher ein, Platz zu nehmen und den Raum auch vom Tisch aus zu erfahren. Eigentlich fehlt nur noch ein schmackhaftes Abendessen, um sich ins New York der 1960er-Jahre zurückzuversetzen.