Babylon in Bern
Vor dem Grün von Berns Hausberg Gurten streckt sich ein neuer Baukörper in die Höhe. Die Basler Architekten Buchner Bründler haben auf dem Teilstück eines gestaffelten Baufeldes einen ungewöhnlichen Wohnturm geschaffen. Zehn Tage vor dem Bezug der ersten Wohnungen haben sie zur Besichtigung geladen.
Text: Hella Schindel – 17.6.2016
Wohnen mit Aussicht
Referenzen wie die Bionik, die hängenden Gärten der Semiramis, aber auch eine Verneigung von skulpturalen Betonbauten der 1960er-Jahre in Bern Bethlehem bilden den gedanklichen Humus, aus dem der «Garden-Tower» entstanden ist. Schon aus der Ferne ist die Struktur des Turms ablesbar: Feine Betonebenen biegen sich aus der Horizontalen nach oben und unten. Metallbügel, die optisch mit dem Beton verschmelzen, vernetzen die sechzehn Platten optisch zu einem Volumen. Die kristallinen Ausschnitte verhalten sich komplementär zur bergigen Umgebung. Von innen betrachtet rahmen sie die Blicke in die Landschaft, insbesondere in Richtung Alpen.
Die nach unten ausgedehnten Betonflächen bestehen aus diamantförmigen Mulden, in denen jeweils ebenerdig zur Bodenplatte Pflanzen gesetzt sind. Die nach oben ragenden Betonteile hingegen sollen als Rücklehnen für bodennahes Sitzen dienen, wobei sich allerdings die Frage nach Comfort aufdrängt.
Gelände(r)frei
Die Anmutung eines gewachsenen Gebildes wird durch unterschiedlich weit ausgkragende Geschossflächen verstärkt. Die polygonalen Innenräume sind von Aussenräumen umgeben, die etagenweise leicht verdreht gesetzt sind. So wechseln sich schmale und tiefere Balkonflächen gegenläufig zur Ausdehnung der Innenräume ab.
Über die gesamte Höhe des Gebäudes ist anstelle von Brüstungen ein Metallnetz gespannt, an dem sich Kletterpflanzen emporranken werden. Einzelne Bereiche sind für den Blick ausgespart. Die horizontalen Linien werden also mit der Zeit hinter dem grünen Vorhang des «Garden-Towers» zurücktreten, so dass der Baukörper als Ganzes betont wird. Hinter diesen Schichten umschliesst die Ebene der Glasfassade den vertikalen Kern.
Etagenübergreifende Planzen = gemeinschaftliches Zusammenleben?
Insgesamt hat der Turm 45 Wohnungen. Sie alle sind auf die schöne Aussicht gerichtet. Im Erdgeschoss soll sich ein Café und Gewerbe ansiedeln. Die ersten vier Obergeschosse werden vermietet. Die oberen Wohnungen sind im Laufe der Planung zu Eigentumswohnungen mit individuellem Ausbau geworden. Eine bequemen Treppe lädt ein, ab und an auf den schnellen Lift zu verzichten. Die Pflege der geschossübergreifenden Bepflanzungen könnte zum gemeinschaftlichen Miteinander beitragen: Die Pflanzen dürfen jeweils drei Etagen wachsen, danach müssen sie aus Brandschutzgründen gekappt werden. Noch ohne Pflanzen erinnert die Betonstruktur an eine senkrecht aufgezogene Papiergirlande. Dieselbe beschwingte Luftigkeit wohnt dem Bau inne.
Zusammengewürfelter Städtebau
Fragwürdig indessen erscheint das städtebauliche Gesamtkonzept des Bächtelenparks. Fünf verschiedene Siedlungsformen –vom Hofgebäude bis zum Hochhaus – reihen sich zusammenhangslos hintereinander. So werden zwar vielfältige Wohnungsformen angeboten, ein neues Quartier aber definieren die Baukörper nicht. Der Investor nennt es eine «einzigartige architektonische Komposition» – naheliegender wäre die Bezeichnung «tutti frutti». Immerhin entstehen hier 184 Wohnungen mit guter Anbindung ans Zentrum von Bern. Das ist in jedem Fall zu begrüssen.