Arealplanungen versus Stadtbild
Zürich West – eine Zwischenbilanz
Seit rund einem Jahrzehnt wird die Umstrukturierung des Stadtbereiches Zürich West sichtbar, in den nächsten Jahren werden weitere durchgreifende bauliche Veränderungen erwartet. Wenn wir den bisherigen Planungsablauf rekapitulieren und eine Zwischenbilanz ziehen, so stellt sich die Frage, inwieweit die einst formulierten planerischen Ziele erreicht worden sind und wie plausibel ihre Erfüllung heute scheint.
Autor: Michael Hanak – erschienen in archithese 6.2005 Planung in Zürich, S. 56–59.
Im Industriequartier Zürichs setzte ab den späten Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts ein durchgreifender Wandel ein. Der Niedergang der traditionellen Industriebetriebe, ihre Tätigkeits- und Produktionsverlagerungen setzten ganze Fabrikareale frei. Der Seifenhersteller Steinfels zog 1986 in eine ländliche Gemeinde um, die Maschinenfabrik Sulzer-Escher-Wyss schloss diverse Teilbereiche und liess 1988 einen Gestaltungsplan für sein Areal ausarbeiten, die Bierbrauerei Löwenbräu drehte 1989 ihre Hahnen zu, Maag-Zahnräder beendete 1997 nach jahrelangen Restrukturierungsversuchen ihre industrielle Produktion.1 Durch den wirtschaftlichen Strukturwandel wurden viele ehemalige Produktionsgebiete zu brach liegenden Arealen. Über die weitere Entwicklung der Industriebrachen gingen die Meinungen auseinander.
Der jahrelange Kampf um die neue Bau- und Zonenordnung führte zu einer Pattsituation und endete damit, dass die kantonale Baudirektion 1996 eine vorläufige Zonenordnung erliess. Im gleichen Jahr initiierte die Stadtverwaltung das so genannte Stadtforum, in dem die verschiedenen politischen Parteien, Grundeigentümer und Stadtämter in Dialog treten sollten. Aus den zehn Forumssitzungen resultierten ein paar Projektideen und zwei Empfehlungen: Zürich West sollte städtebaulich aufgewertet und zu diesem Zweck ein kooperatives Verfahren eingeleitet werden.
Kooperative Entwicklungsplanung
In der Folge erarbeitete das Amt für Städtebau zusammen mit Grundeigentümern und Betroffenen die Planungsgrundlagen und entwicklungspolitischen Prinzipien. In einer ersten Phase wurden 1998 Gedankenmodelle und Visionen diskutiert. Eine «Impulsgruppe Aufwertung Zürich West» sollte den Prozess vorantreiben. Zum Auftakt organisierte sie eine Ausstellung auf dem Steinfelsareal, in der erste Bauprojekte vorgestellt wurden. Im Rahmen von Testplanungen wurden Studienaufträge an drei Teams vergeben: An das Office for Metropolitan Architecture OMA, an Ernst Basler Partner / Dudler sowie an Morger & Degelo / Kerez. Bei der Diskussion ihrer Projekte wurde deutlich, dass die Grundeigentümer mehr ein vermarktbares neues Stadtbild suchten und die Planer eher an eine prozesshafte Herleitung aus dem Bestehenden dachten. Insbesondere bei der Verteilung der Freiräume, deren Notwendigkeit alle einsahen, konnte nur ein abstrakter Konsens gefunden werden.
Im Februar 1999 hielten die Beteiligten der kooperativen Entwicklungsplanung ihre gemeinsamen Absichten in einem Synthesebericht fest: Erstens soll eine nachhaltige Aufwertung und damit ein hoher Nutzen für Bevölkerung, Grundeigentümer und Wirtschaft im Quartier erfolgen; zweitens muss die nationale und internationale Wettbewerbsposition gestärkt werden; und drittens würde durch eine effiziente Zusammenarbeit der Planungsbeteiligten eine langfristig attraktive Entwicklung und eine hohe städtebauliche Qualität resultieren.2 Hinter den grossen Worten liess sich die Absicht zu einem Leitbild erkennen. Wiederum bemühte sich die Stadtverwaltung um Öffentlichkeitsarbeit: In der Ausstellung Stadt-Einsichten im Zürcher Helmhaus 1999 wurde der Wandel in der Stadtentwicklung thematisiert und das kooperative Verfahren erläutert.
Nebst den bisherigen generellen Zielformulierungen haben Stadtverwaltung und Grundeigentümer dann auch quantitative Eckwerte der Bodennutzung festgelegt sowie ein Freiraum- und Verkehrskonzept erarbeitet. Im Juni 2000 wurde, alsZwischenresultat einer weiteren Phase der kooperativen Planung, das Entwicklungskonzept in einem Faltblatt zusammengefasst. Zwölf städtebauliche Prinzipien zeigten die angestrebte Entwicklung des Stadtteils auf. Die skizzierten Leitlinien, die stark auf den bestehenden Strukturen aufbauten, sollten als Hilfsmittel bei der Umsetzung der konkreten Arealplanungen dienen. Eine Ausstellung im Haus zum Rech 2001 und die dazu erscheinende Zeitung waren wieder Angebote an die Öffentlichkeit, sich mit den planerischen Absichten auseinander zu setzen.
Qualitäten noch offen
Ausgangspunkt der kooperativen Entwicklungsplanung von Zürich West war die gegenseitige Abhängigkeit: Die Grundeigentümer können ihre Areale nur entwickeln, wenn die öffentliche Hand die Infrastruktur darauf zur Verfügung stellt. Das neuartige planerische Vorgehen brachte in erster Linie alle direkt Beteiligten gemeinsam ins Gespräch und zu einem Konsens über die städtebaulichen Leitbilder. Doch aus dem Planungsprozess gingen reine Absichtserklärungen hervor, die keinerlei rechtliche Verbindlichkeit beinhalten. Kooperation bedeutete im Grunde Kommunikation. Zweifelsohne ist mit der Einigung über die planerischen Absichten und Rahmenbedingungen bereits sehr viel getan; ob es genug war, wird sich zeigen.
Ob die formulierten Ziele eingehalten werden, ist nur mit einigem Aufwand überprüfbar.3 Für die gesamtheitliche Betrachtung war es sicherlich notwendig, nach Stadtbildern zu suchen. Die angestrebte Aufwertung jedoch muss mehr sein als ein Mittel des Stadtmarketings im Standortwettbewerb. Die Umnutzung der Fabriken und Gewerbebauten führte zu einem spannenden Nutzungscocktail, der die Identität des Quartiers geprägt hat. Eine definitive Erhaltung der prägnanten Industriebauten scheint leider nur in Ausnahmefällen möglich zu sein.
Die Neubebauung der einzelnen Areale lässt sich mit Gestaltungsplänen erfolgreich steuern. Auf denjenigen der ehemaligen Industriebetriebe Schöller und Steinfels wurde dies bereits umgesetzt, Löwenbräu und Maag sind auf dem besten Weg dazu. Problematischer erweist sich die Beteiligung der Grundbesitzer an öffentlichen Freiräumen und gemeinschaftlicher Infrastruktur. Die Stadt ist hier auf deren Goodwill angewiesen und handelt Kostenbeteiligungen für die aufwertenden Massnahmen aus.
Technopark, Limmat West, Steinfels, Schiffbau und Puls5 heissen die wichtigsten bisher realisierten Bauprojekte. Noch wirken sie als unabhängige Einzelteile im bestehenden Ganzen. Nun muss das Freiraumkonzept umgesetzt werden. Denn von den räumlichen Zusammenhängen innerhalb des Quartiers hängt die Qualität des Planungsergebnisses wesentlich ab. Überzeugende räumliche Verbindungen zwischen den einzelnen Planungsperimetern fehlen bisher noch, Grossbauten und Verkehrsachsen unterbrechen die gemeinsame Lesbarkeit.
Damit die planerischen Bemühungen besser erkannt werden, sind gut gestaltete Freiräume nötig. Für das angestrebte Image eines «Zentrumsgebietes mit Impulsfunktion» (kantonaler Richtplan 1995) kann schliesslich hochwertige Architektur entscheidende Zeichen setzen. In diesem Sinn sind nun einige Hochhäuser geplant.
Michael Hanak ist frei schaffender Kunst- und Architekturhistoriker in Zürich. Er beteiligt sich regelmässig an Projekten des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich und ist Redaktor der Werkzeitschrift ARCH für die Eternit AG.
1 Vgl. Jan Capol, «Der Umbruch», in: Werkstatt West (Zeitung zur Ausstellung des Amts für Städtebau im Haus zum Rech 21. 8. – 23. 11. 2001), S. 4–5.
2 Vgl. Entwicklungskonzept Zürich West. Kooperative Entwicklungsplanung, hrsg. vom Hochbaudepartement der Stadt Zürich, Amt für Städtebau, Juni 2000.
3 Vgl. Alain Thierstein, Wilhelm Natrup, Sabine Friedrich, Dunja Binggeli, Carolina Grimaldi, Aufbruch West? Nachhaltige Entwicklung und städtische Erneuerung am Beispiel von Zürich West, hrsg. von der Zürcher Kantonalbank, Zürich 2005.
> Ursprünglich erschienen in archithese 6.2005 Planung in Zürich.