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Angemessen

Am 6. April 2019 wurde in Weimar das neue Bauhaus-Museum eröffnet. In der Stadt, wo die avantgardistische Schule einst ihren Anfang nahm, erhält sie nun endlich einen angemessenen Platz. Der von Heike Hanada entworfene Betonmonolith setzt sich zwischen Gauforum und Konferenzzentrum und schliesst damit eine Lücke im Stadtgefüge. Gleichzeitig inszeniert er die ambivalente Historie einer dramatischen Epoche räumlich und museal.

 

Text: Cyrill Schmidiger – 8.4.2019

 

Heterogener Kontext
Im April 1919 wurden die Kunstgewerbeschule und die Hochschule für bildende Kunst in Weimar zum Staatlichen Bauhaus fusioniert. Schon sechs Jahre später musste es die Stadt auf politischen Druck hin verlassen und zog nach Dessau. Ab 1932 in Berlin löste sich die Schule aufgrund nationalsozialistischer Repressalien selbst auf. Diesem fatalen Kapitel deutscher Geschichte hatte sich auch der Museumsneubau in Weimar zu stellen – insbesondere räumlich: Hanada, die bei ihrem Projekt mit Benedict Tonon arbeitete, positionierte den minimalistischen Baukörper westlich des ehemaligen Gauforums. Das Volumen drehte sie aber leicht davon ab und richtete es stattdessen an dem von gmp Architekten realisierten congress centrum neue weimarhalle (1999) aus. Man mag das Nebeneinander (oder Gegenüber) von nationalsozialistischem Gauforum und Bauhaus-Museum (das die hauptsächlich links orientierte Schule präsentiert) seltsam, provokant oder gar problematisch finden. Doch blendet man diese geschichtliche Kontaminierung einmal aus, dann bildet das neue Museum mit dem südöstlichen Kultusgebäude (das nun viel angemessener in Erscheinung tritt) und dem gestreckten Trakt des Forums im Norden eine attraktive neue Platzsituation. Gleichzeitig fungiert der Neubau als doppeltes Scharnier: Er definiert mit dem Gauforum ein kulturelles Zentrum zur «bruchartigen Weimarer Moderne». Analog dazu präsentiert das Neue Museum Weimar die Dauerausstellung «Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900» (und damit quasi eine Art Vorgeschichte des Bauhauses) und im Gauforum wird voraussichtlich ab 2020 die Dokumentation «Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg» gezeigt. Anderseits verbindet sich das in den Hang geschobene Hanada-Gebäude mit dem südwestlich gelegenen Park respektive dem Stadtraum, indem es im Inneren öffentliche Zonen bietet. Das Café mit Terrasse sowie die Projekträume mit Werkstätten und Vortragssaal sind frei zugänglich.

 

Autonom und minimalistisch
Trotz dieser urbanen Verflechtungen ist das Euro 27 Millionen teure Bauhaus-Museum, das ab Herbst 2015 errichtet wurde, architektonisch zugleich ein individuell gestalteter Solitär. Der minimalistische Monolith mit rechteckigem Fussabdruck weist gegen die aus der NS-Zeit stammende Architektur des Gauforums nur eine Öffnung auf: Das hohe Eingangsportal ist hier asymmetrisch, also weder mittig noch klassisch repräsentativ angeordnet. Etwas verspielt geben sich die anderen Fassaden, die durch ungleich dimensionierte Fenster unterschiedlich gegliedert wurden. Ein Highlight bilden die LED-Lichter in den horizontalen Betonfugen: Sie konterkarieren in ihrem Sfumato-Weiss das kompakte Gebäude und lassen es nachts quasi schweben. Die Präzision der Kubatur und der städtebaulichen Setzung weicht dann einer inszenierten Unschärfe. Mutet der gegossene Betonkörper aussen durch seine reduzierte Form eher schwer an, so hat er im Innern eine komplexe, doch leicht wirkende Struktur. Doppelgeschossige Lufträume und einläufige Kaskadentreppen verbinden die verschiedenen Ebenen. Rund 2 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche sind auf drei Geschossen verteilt. Betonrippendecken mit körnigen Oberflächen nehmen die Technik in sich auf und Leuchtmittel an dazwischenliegenden Stromschienen ermöglichen eine präzise (Licht-)Inszenierung der Exponate. 

 

Vielfalt abbilden
Weimar besitzt weltweit die älteste Bauhaussammlung. Direktor Walter Gropius legte 1925, als die Schule nach Dessau umsiedeln musste, mit 168 Werkstattarbeiten den Grundstein. Heute umfasst sie rund 13 000 Objekte. Einige dieser Exponate – Kunstwerke und Texte, aber auch Skizzen und Modelle – präsentiert das Museum in thematisch gegliederten Bereichen. Die von Holzer Kobler Architekturen szenografisch inszenierte Ausstellung erzählt nicht nur vom breiten gestalterischen Kosmos, der sich gerade am jungen Bauhaus entfaltete, sondern auch von den unterschiedlichen Lehrkonzepten von Johannes Itten, Paul Klee oder László Moholy-Nagy. Die vermeintlich kongruente «Bauhaus-Pädagogik» wird dabei als Mythos entlarvt. Und dass sich an der Schule doch nicht immer alles um den gemeinsamen Bau drehte, also in finaler Konsequenz um die Architektur, illustriert die Bühne unter Oskar Schlemmer. Sie war ein Ort der individuellen Kreativität und erlaubte, die Idee des Gesamtkunstwerks exemplarisch zu testen. Partituren und Marionetten wie auch Tanzvideos und Zeichnungen geben Einblicke in den bunten Kosmos.

 

Und heute?
Das grosse inhaltliche Spektrum des Museums wird schon im Eingangsbereich sichtbar: Kristallin anmutende Polyeder des Argentiniers Tomás Saraceno, der experimentierend nach neuen architektonischen Formen sucht, sind in ein spinnennetzartiges Gewebe eingebunden. Sie stellen nicht nur eine Reminiszenz an die expressionistische Frühphase des Bauhauses dar, sondern schlagen auch eine Brücke zum kuratorischen Anspruch, die heutige Relevanz der avantgardistischen Gestaltungsschule zu diskutieren. Unter der Leitfrage «Wie wollen wir zusammenleben?» wird ein Fokus auf den Alltag und das Wohnen gelegt. Im frisch sanierten Haus am Horn – entworfen vom Maler Georg Muche für die erste Bauhaus-Ausstellung 1923 im Südosten der Stadt – wird ab dem 18. Mai 2019 eine Korrespondenzschau gezeigt. Darin werden mit Multimedia und rekonstruiertem Interieur (die Möbel gestalteten unter anderem Marcel Breuer, Theodor Bogler und Alma Siedhoff-Buscher) die damaligen Wohnideen dokumentiert.
Doch ansonsten bricht das Konzept des neuen Bauhaus-Museums – abgesehen von einigen denkmalpflegerischen Entscheidungen beim Haus am Horn – nur selten aus der historischen Perspektive aus. Die Frage «Was bleibt?» beleuchten die Ausstellungsmacher anhand des Wirkens der drei Direktoren Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe. Die Fotografie und das Neue Sehen, Medialität und Propaganda oder die sozialpolitische Agenda mit Aspekten wie Rationalisierung und Normierung sind hier zentrale Themen. Dass die Folgen nicht immer nur positiv waren, wird unterschiedlich tief diskutiert. Dass die Moderne – und mit ihr das Bauhaus – aber ein reichhaltiges, in den Ideen und Ausführungen mitunter ambivalentes Projekt geblieben ist, wird hingegen anschaulich erfahrbar.

 

archithese 2.2014 Bündnis / Alliance / Association etabliert den Bauhausstudenten Max Bill aus Zürich als Kopf und Hauptvertreter der Konkreten Kunst und zeigt dessen politisches Engagement als Gemeinde- und Nationalrat in Zürich und Bern auf.

> Konzipiert als Retrospektive auf die Hochschule für Gestaltung in Ulm untersuchte archithese 15.1975 die Entwicklung, das Bewusstsein und die Ideologie der Schule, die von Max Bill (mit)gegründet wurde.

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