Angebote zur Aneigung
Was verbirgt sich hinter dem Begriff «Open Space»? Wie lassen sich solche Räume durch architektonische und künstlerische Eingriffe transformieren? Und wie formuliert man überzeugende Angebote zur Aneignung? Diese Fragen wurden gestern beim Symposium Open Space – gemeinsam organisiert vom EPFL-Institut ALICE und archithese – verhandelt.
Text: Elias Baumgarten – 7.6.2017
Fotos: Jørg Himmelreich
Unter der Eisenbahnbrücke auf dem Zürcher Toni-Areal gleich neben der ZHdK, wo sonst Studierende ihre Velos abstellen, hat sich für zwei Wochen die raumgreifende, hölzerne Struktur House 2 eingenistet. Das von über 200 Erstsemestrigen der EPF Lausanne unter Leitung von Dieter Dietz entworfene und gebaute Objekt wird mit einem abwechslungsreichen Programm bespielt – zwei Tage davon gestalten ALICE und archithese gemeinsam. Gestern fand das Symposium Open Space statt. Heute wird der Ball mit Protostucture weitergespielt.
Aneignung namenloser Stadträume
Doch was meinen Dieter Dietz und sein Team mit dem Begriff «Open Space»? Ihnen geht es um (städtische) Resträume, die – zumindest auf den ersten Blick – nicht besetzt sind und der Aneigung offen stehen. Sabine von Fischer nannte sie in der NZZ «Stadträume ohne Namen». Ein solcher ist der Bauplatz von House 2. Dietz sieht einen Imperativ, solche Orte neu zu denken, zu hinterfragen und für die Gemeinschaft zu transformieren. Für ihn ist der Open Space ein Raum, dessen Nutzung immer wieder neu ausgehandelt werden muss und Diversem Platz bietet. Wie aber können solche Orte verändert und ihr Potenzial geborgen werden? Darüber referierten und debattierten der Zürcher Landschaftsarchitekt Daniel Ganz, EPFL-Doktorand Dario Negueruela sowie der Kurator Simon Lamuniére.
Schmaler Grad
Daniel Ganz fragte in seinem Vortrag, was öffentliche Räume zum Open Space avancieren lasse? Eine knifflige Aufgabe ist demnach, Offenheit und Programmierung auszutarieren. Denn sowohl «Überprogrammierung» als auch Beliebigkeit wirken sich wie ein Bremsfallschrim aus und verhindern, dass Orte als Möglichkeitsräume durchstarten. Doch wie lässt sich dieses Gleichgewicht herstellen? Ganz präsentierte den Wettbewerbsbeitrag seines Büros für den Zürcher Pfingsweidpark: durch Brüche und Gegensätze – erzeugt etwa durch eine vorgeschlagene hügelige Topografie – hätte ein Möglichkeitsraum aufgespannt werden sollen, der Kinder genauso zum Spielen und Toben eingeladen hätte, wie Studierende der nahen ZHdK zu allerhand Aktionen und Performances.
Emotionen wecken
Dario Negueruela elaborierte über Urbanität, die seinem Dafürhalten nach von Kopräsenz, einem Nebeneinander des Verschiedenen lebt. Aber wie können Räume angeboten werden, in denen «Urbanität passieren kann»? Für den Madrilenen bedarf es Gestaltungen, die Anreize zur Aneignung schaffen, Emotionen wecken und zur Bespielung motivieren. In Bezugnahme auf Daniel Ganz' Referat möchte man ergänzen, der Grund, warum völlig unprogrammierte Räume schwerlich angenommen werden.
Kunst als Transformator
Leerräume in der Stadtlandschaft lassen sich durch Kunstaktionen aktivieren, meint Simon Lamuniére. So managte er das Projekt Neon Parallax am Plain de Plainpalais in Genf, bei dem internationale Künstler an den Gebäuden um den grössten Platz der Stadt Neonschriftzüge anbrachten. Durch diese Massnahme wurde der eher unattraktive Ort zeitweise transformiert und aufgewertet. Für Lamuniére können Kunstaktionen jene Werkzeuge sein, den Open Space zu bespielen, nach denen Dieter Dietz fragt.
Möglichkeitsräume und verborgene Regularien
Werkzeuge und Strategien für die Transformation von Leerräumen standen auch an der abschliessenden Podiumsdiskussion im Rampenlicht. Und während Daniel Ganz und Simon Lamuniére zu genauem Hinsehen aufforderten, um Möglichkeitsräume ausfindig zu machen, bedarf es laut Moderator Daniel Zamarbide mehr – einem grundlegenden Shift beim Berufsbild des Architekten nämlich: Dieser sei nicht länger der grosse Planer, der alle Fäden in der Hand hält und Kontrolle ausübt. Dies müsse sich auch in der Ausbildung niederschlagen, fand Dieter Dietz.
Als die Diskussion schliesslich auf House 2 als Transformator einschwenkte wurde deutlich, welch politisches Unterfangen die Bespielung von Leerräumen ist. Denn obschon der Raum unter dem Eisenbahnviadukt auf den ersten Blick der Aneignung offen zu stehen scheint, gelten eine Vielzahl von Regeln und es mussten Verhandlungen mit verschiedensten Akteuren von der Stadt bis hin zur SBB geführt werden. Oft hält die Konfrontation mit dieser Realität für Architekten und Künstler Enttäuschungen parat und zwingt sie nach Schlupflöchern zu suchen und Ausnahmegenehmigungen zu beantragen. House 2 sei hier eine Ausnahme, ergänzte Dietz, die auf viel Wohlwollen und Unterstützung gestossen sei.
> Jørg Himmelreich hat den Pfingsweidpark mit seinem Hund «durchgespielt».
> Mehr zu Dieter Dietz Arbeit erfahren Sie in Elias Baumgartens Essay «Einheit in Vielfalt» sowie Martin Tschanz' Kritik «Performative Architektur» in archithese 1.2017 Swiss Performance.
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