Alles schwarz-weiss?
Achtzehn lange Jahre war die Salle Labrouste der alten Pariser Nationalbibliothek dem breiten Publikum nicht mehr zugänglich. Denn der wundervolle Lesesaal aus der Feder Henri Labroustes (1801–1875) wurde aufwändig renoviert. Nun, bevor die zweite Phase der Sanierungs- und Umbauarbeiten am Gebäude eingeläutet wird, öffnet das Juwel heute seine Tore wieder für die Öffentlichkeit.
Doch nicht jeder frohlockt ob der Eingriffe: Marc Zitzmann bricht in der Neuen Zürcher Zeitung angesichts der noch ausstehenden Umbauten in Wehklagen aus und schiesst sowohl gegen den verantwortlichen Architekten Bruno Gaudin, als auch das französiche Kulturministerium. Doch vielleicht hätte dem Diskurs eine differenzierte Betrachtung gut getan.
Text: Elias Baumgarten – 13.1.2016
Bilder: Umbau der alten Nationalbibliothek, Paris (Visualisierung und Pläne: Bruno Gaudin Architects © J. Gonsolin)
Marc Zitzmann hat ein grosses Flair für historische Architekturen und eine klare Haltung zum Umgang mit baukulturell wertvollen Bestand: Für ihn geht Erhalten und Herrichten immer vor, besonders wenn Eingriffe nicht feinfühlig ausfallen. Von der alten Pariser Nationalbibliothek (1666) an der Rue Vivienne zeigt sich der NZZ-Autor beigeistert und verneigt sich vor der berühmten Salle Labrouste; diese ist für ihn einer der schönsten historischen Lesesäle überhaupt. Denn im Unterschied zu anderen würde sie einen nicht mit Pracht und architektonischem Reichtum erdrücken, sondern stimulieren; durch die einzigartige Lichtsituation – eine «Helligkeit ohne Grellheit» – fühle man sich in emporgehoben, sogar im spirituellen Sinne. Die Renovation dieses Juwels sei deshalb ein Gewinn. Doch in einer zweiten Bauphase sollen weitere Umbauten am Bibliotheksgebäude ausgeführt werden, die tief in den Bestand hineinfräst. Und angesichts der Pläne und Visualisierungen, sowie bereits realisierter Eingriffe des verantwortlichen Büros Bruno Gaudin Architects branden beim Kritiker die Emotionen hoch.
Schandflecken und Vandalismus?
Besonders an zwei Änderungen entzündet sich Zitzmanns Zorn: Statt die Fassade des Ehrenhofs zu reinigen und herzurichten, wurde dem Vestibül eine langgezogene gläserne Galerie aufgesetzt. Dieseetabliert zwar eine zusätzliche Verbindung zwischen Salle des Colonnes und Rotonde Van Preat und erleichtert die Zirkulation im Gebäude, doch verunstaltet er nach Zitzmanns Meinung die Hoffassade wie eine Warze. Noch schwerer wiege aber, dass die historische Ehrentreppe eingerissen werden soll. An ihre Stelle wird eine «zeitgeistige Silberspirale» rücken, welche für mehr Sicherheit sorgen und die Zirkulation erleichtern soll. Für Zitzmann ein Akt von architektonischem Vandalismus.
Schizophrenie des Kulturministeriums
Die Umbaumassnahmen seien Ausdruck einer fehlgeleiteten Politik, so schreibt er weiter. Denn während einerseits EUR 185 Millionen in die Sanierung der Bibliothek gesteckt würden, mangle es zugleich eklatant an Achtung für das bauhistorische Erbe. Denn die Gestaltung pflügt demnach über das Gebäude hinweg wie eine Dampfwalze. Besonders verwundert zeigt Zitzmann sich darüber, dass nicht nur linke, sondern auch bürgerliche Politiker die Planung durchgeboxt haben.
Doch hätte es bei der Diskussion der Massnahmen nicht einen differenzierte Perspektive geben können? Denn trägt etwa die neue Treppeanlage nicht trotz gestalterischer Schwächen auch dazu bei, den Bau öffentlich zugänglich zu erhalten und konserviert ihn sogar ein Stück weit? Schade, bleibt die Debatte um den Umgang mit historischem Bestand immer wieder in politischen Gräben hängen.
> Auch in Versailles wurde am historischen Ensemble des Schlosses weitergebaut. Mehr dazu in Anna Valentinys Kommentar «Goldene Spiegelung».