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Affordable Palace

Eine Idee, den Buckingham Palace in einen riesigen Sozialwohnungsbau zu verwandeln, versetzt derzeit die Britischen Boulevardmedien in helle Aufregung. Entwickelt hat den Vorschlag, der zugleich wachrüttelt und nicht ganz ernst scheint, der Münchener Architekt Benedikt Hartl. Während gerade vornehmlich über den Brexit, den Amerikanischen Grenzzaun zu Mexiko und Fake News diskutiert wird, möchte er die Aufmerksamkeit auf die prekäre Lage auf dem Wohnungsmarkt vieler Grossstädte in Europa lenken.

 

Text: Julian Bruns – 31.1.2019
Visualisierungen und Pläne: Opposite Office

 

Architektonische Utopien sind mittlerweile selten geworden. Bei den wenigen handelt es sich meist um technische Visionen, denen es am subversiven Moment mangelt und mit denen keine wirkliche Kritik am Status Quo formuliert wird. Das verwundert den Münchner Architekten Benedikt Hartl, denn zu kritisieren gäbe mehr als genug: Fake News, Brexit, Cum-Ex, den Mauerbau der USA an der Grenze zu Mexiko, den Neoliberalismus, die stetig steigende Mieten und der Mangel an Wohnraum in vielen Grosstädten etwa. Für das Fehlen von günstigem Wohnraum präsentierte er nun eine Lösung und sagt augenzwinkernd: «Wenn das ‹real› geworden ist, sozusagen der ‹Normal-Zustand›, warum dann nicht mal darüber nachdenken, den Buckingham Palace in einen Sozialwohnungsbau umzuwandeln?»

 

Wohnen bei der Queen
In dem Entwurf «Affordable Palace» will er den Königspalast in London im grossen Stile um sechs Geschosse aufstocken und damit Wohnraum für geschätzt 50 000 neue Bewohner und Bewohnerinnen schaffen. Wie in einer gigantischen Clusterwohnung würden sich dabei Schlafräume für Einzelpersonen und Paare um geteilte Ess- und Wohnbereiche gruppieren. Durch Faltwände und Klappelemente könnten die Räume temporär auf die Bedürfnisse angepasst werden. Acht extravagante und offene Treppenhäuser verbinden die neuen Wohngeschosse mit dem ursprünglichen Palast, sodass auch die Räume des Staatsoberhaupts und der Königlichen Familie als Gemeinschafts- und Begegnungsfläche genutzt werden könnten. «Dies würde nicht nur den Wohnungsmarkt bedeutend entlasten, sondern auch noch zu einem PR-Coup für die Queen werden», bemerkt Hartl, der seinen Entwurf in einem offenen Brief auch direkt an die Königin geschickt hat.

 

Medienecho
Die Wahl Hartls, einen Entwurf an einem der berühmtesten Wahrzeichen der Welt durchzuprobieren, könnte vielleicht auch als Kritik an der repräsentativen Monarchie gelesen werden. Die Britische Boulevardpresse, die dafür bekannt ist, auch die absurdesten Ideen aufzugreifen und medial auszuschlachten, wittert jedenfalls einen Affront gegen das beliebte Königshaus. Dem Architekten und seinem Opposite Office bläst deswegen in den Kommentarspalten, insbesondere der beiden grossen Nachrichtenmagazine Daily Mail oder Metro, ein harscher und bisweilen unsachlicher Wind entgegen. Zustimmung für die provokante Idee gibt es derweil wenig. Doch der angenehme Nebeneffekt: Es wird über die Idee gesprochen und die Aufmerksamkeit für die angespannte Lage auf dem Wohungsmarkt steigt. Die Queen hat sich leider noch nicht zu dem Vorschlag geäussert, dass die Nachverdichtung zukünftig auch die gut Situierten in bester Lage betreffen könnte.

 

Kritische Architekten
Opposite Office provoziert indes nicht das erste Mal mit einem Entwurf: 2018 schlugen sie für ein neues Meeresmuseum in Portugal eine ringförmige Schwimmplattform mitten im Ozean vor, die nebenbei das Wasser von Plastikmüll befreien sollte. Dafür gab es immerhin eine Anerkennung.

 

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>  Am 21. September 2018 lud die Deutsche Bundesregierung zum grossen Wohnungsgipfel nach Berlin ein. Der Wille zum Handeln ist da, doch die Strategien fehlen noch. 

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