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achtung: unsre Stadt
Die Neuauflage der «Basler politischen Schriften» feierte mit einer Diskussionsrunde an der ETH Zürich Vernissage
Welche Relevanz haben die «Basler politischen Schriften» von Lucius Burckhardt, Max Frisch und Markus Kutter für den Städtebaudiskurs von heute? In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre stiessen die drei Bücher wir selber bauen unsre Stadt, achtung: die Schweiz und die neue Stadt eine engagierte Debatte an, doch können sie noch immer Impulsgeber sein?
Anlässlich des Erscheinens der Neuauflage achtung: die Schriften lud der Triest Verlag gestern gemeinsam mit dem Max Frisch-Archiv zur Diskussion an die ETH Zürich ein. Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich, Architektin Charlotte von Moos, Professor Vittorio Magnago Lampugnani sowie der Direktor der Zürcher Regionalplanung, Angelus Eisinger bezogen dabei Stellung und spannten den Bogen von den Pamphleten der 1950er-Jahre zu den städtebaulichen Fragen der Gegenwart.
Text & Bilder: Elias Baumgarten – 16.3.2017
Angelus Eisinger eröffnete die Vernissage mit einem flotten Vortrag, in dem er die «Basler politischen Schriften» als architekturtheoretisches und städtebauliches Zeitzeugnis präsentierte, das bis heute fortwirke und wenig von seiner Relevanz verloren habe, auch wenn sich die Autoren später von den darin vertretenen formalen städtebaulichen Positionen distanzierten. Er selbst etwa nehme seine – wie er augenzwinkernd anfügte, mittlerweile «völlig zerlesene» – Ausgabe von achtung: die Schweiz immer wieder zu Hand und jedes Mal nötige ihm das Pamphlet aufs neue den Bezug einer städtebaulichen Haltung ab. Und doch gewinne er den Eindruck, so Eisinger mahnend, die Ikone werde heute Zusehens mystifiziert und verzerrt und zur Nobilitierung der eigenen Arbeit missbraucht.
Partizipation im Steigflug?
Doch kann Max Frisch im heutigen Diskurs Impulsgeber sein? Die anschliessende Diskussionsrunde suchte den Bogen zwischen seiner «Städtebaupolemik» und aktuellen Debatten zu spannen. Rasch rückten dabei partizipative Prozesse und deren Gestaltung in den Fokus – ist doch die Forderung nach einer handlungstragenden Rolle der Bevölkerung im Städtebau wesentlicher Bestandteil der «Basler politischen Schriften». Dabei wurden divergente Positionen laut: Während Angelus Eisinger und Anna Schindler für Partizipation argumentierten, forderte Vittoria Magnago Lampugnani, Architekten und Stadtplaner müssten den Lead in Planungsfragen übernehmen, um Stagnation zu verhüten.
Schindler leitete aus der geforderten Verdichtung nach Innen einen Imperativ für Partizipation ab und forderte räumliche Fragen gesellschaftlich auszuhandeln. Doch dürften partizipative Prozesse nicht zu einem «Wunschkonzert» verkommen, bei dem die Bevölkerung lediglich Gemeinplätze wie Grünanlagen, Verkehrsberuhigung und Kindertagesstätten fordere. Eisinger pflichtete bei: Partizipation müsse ein Erfragen der Lebensverhältnisse bedeuten, um aus dem Verstädnis der jeweiligen Lebenssituationen konkrete Aufgaben für die Planer formulieren zu können.
Lampugnani bezog eine Gegenposition, denn wie er augenzwinkernd überspitze, «Partizipation ist schrecklich». Das Ermitteln von Bedürfnissen und Erwartungen perpetuiere lediglich den Status quo und bremse Innovation aus, so der ETH-Professor. Vielmehr müssten Architekturschaffende künftige Entwicklungen und Bedürfnisse antizipieren – sie seien schliesslich die Experten für diese Fragestellungen.
Kollektives Entwerfen
Auch dieser Idee gegenüber zeigte sich Lampugnani skeptisch. Architektur und Städtebau müssten mehr sein, als das «freundliche Aufsummieren von Partikularinteressen». Gestalter müssten nach wie vor kreativ tätig sein und innovative Programme entwickeln – «Wir sind keine Übersetzer» so Lampugnani plakativ. Charlotte von Moos fügte an, es brauche bei der Durchsetzung derartige Programme die Hilfe der Politik, damit gute Konzepte nicht über die Wahlurnen stolperten.
Eisinger protestierte: «Warum kann man daraus keine gesellschaftlichen Debatten machen?» Man müsse frei nach Max Frisch den Resonanzraum vergrössern. Schindler und Eisinger vertraten die Auffassung, es gehe darum bei der Bevölkerung Ideen abzuholen. Nur so lasse sich politische Akzeptanz vor allem auch bei grösseren Planungsmassnahmen erreichen. Dabei sei es wichtig Anfang und Ende partizipativer Prozesse klar zu definieren.
Fehlen uns die Visionen?
Schliesslich monierte Charlotte von Moos das Fehlen grosser städtebaulicher Pläne in der Schweiz. Lampugnani pflichtete bei: es mangle an Visionen für künftiges Aussehen und Atmosphäre der Städte und der Diskurs fahre sich immer wieder auf dem kleinen Massstab der Gestaltungspläne fest. Während vermehrt auf Partizipation gesetzt wird, scheint für ihn klar: Gestalter müssen ihre Rolle als Experten der Stadtplanung zurückerobern und wieder Führungsposition und Verantwortung übernehmen.
Anstoss zum Nachdenken gab es schliesslich von Angelus Eisinger mit auf den Weg: Der Schweizer Diskurs müsse endlich neue Frage adressieren, auf die derzeit niemand eine überzeugende Antwort parat habe: die Entwicklung der Agglomeration, mit ihren besonderen sozioökonomischen, infrastrukturellen und gestalterischen Herausforderungen.
Das Buch achtung: unsre Stadt kann auf der Triest-Homepage bestellt werden.
> Auf youtube können Sie sich die Veranstaltung nochmals als Film zu Gemüte führen.
> Erfahren Sie mehr zum Zürcher Städtebau.
> Auch im Ausland haben parizipative Prozesse Konjunktur, etwa beim Kollektiv raumlabor Berlin.