5-Punkte gegen eine Tabula rasa
Auf dem Roche-Areal in Basel sollen neue Erweiterungsbauten entstehen. Ein aktualisierter Bebauungsplan sieht den Abriss fast aller historisch bedeutsamen Gebäude der Fabrikstadt vor. Bereits im Dezember entbrannte eine Diskussion um das Plattwalzen des Erbes der Moderne. Das Areal des Biotech-Riesen in Kleinbasel basiert auf dem Masterplan des ehemaligen Chefplaners Otto Rudolf Salvisberg und wurde von ihm und seinen Mitarbeitern, allen voran Roland Rohn, Schritt für Schritt erweitert. Ausgehend von einer Gruppe um Barbara Buser, Florin Gstöhl, Dorothee Huber, dem Architekturhistoriker Bernd Nicolai, der ein Salvisberg-Forschungsprojekt an der Universität Bern leitet, und weiteren formiert sich nun neuer Widerstand. Sie rücken Umwelt und klimatische Aspekte des Megaprojekts in den Vordergrund, das Unmengen an graue Energie verschlinge und 72 000 Tonnen Schutt produziere. In ihrem Positionspapier fordern sie den Erhalt des Areals anstelle der geplanten Stapelung der bisher in der Fläche verteilten Kubaturen. Der Tenor: Ökologische Nachverdichtung sieht anders aus.
Text: Arbeitsgruppe Tabula Rasa – 15. Januar 2021
Vision?
Im Oktober 2019 veröffentlichte das Pharmaunternehmen F. Hoffmann-La Roche die «Vision Südareal» für das Werksgelände an der Basler Rheinfront. Die Pläne des renommierten Architekturbüros Herzog & de Meuron sahen drei Hochhäuser anstelle der seit der Nachkriegszeit dominierenden «weissen Fabrik» von Roland Rohn vor. Gleichzeitig sollten für die Verwirklichung der Vision eines offenen, grünen Parks die bau- sowie wirtschaftshistorisch bedeutsamen Bauten von Otto Rudolf Salvisberg (Pharmagebäude Bau 27) und von Roland Rohn (Scheibenhochhaus Bau 52) weichen. Für einen Park, der wie sich jüngst herausstellte, der Öffentlichkeit nicht zugänglich sein wird. Seines bauhistorisch gewachsenen und damit nachvollziehbaren Kontexts beraubt, soll als einsame Reminiszenz an die hochbedeutsame Erfolgsgeschichte, sowohl für die Stadt Basel als auch für den Konzern der Roche selbst, das Verwaltungsgebäude (Bau 21) von Salvisberg erhalten bleiben.
Eine Menge Schutt
Ein Jahr nachdem der Basler Denkmalrat die Unterschutzstellung der zum Abriss bestimmten Gebäude an den Basler Regierungsrat beantragte, wurde ein revidierter Bebauungsplan vorgestellt, der die bis dahin gelaufenen Debatten komplett ignoriert. Weder die Stimmen der Bevölkerung des umgebenden Wettsteinquartiers werden gehört. Noch die von allen Fachleuten anerkannte bauhistorische Bedeutung der zum Abriss vorgesehenen Konzernbauten scheint von Belang. Am kurzsichtigsten erweist sich jedoch die ausgeblendete Dringlichkeit des ökologischen und ressourcenschonenden Handelns. Allein der abgetragene Bauschutt (graue Energie) würde – vorsichtig geschätzt – 72 000 Tonnen und nochmals so viel für die bis zu fünf Stockwerke tiefen Untergeschosse bedeuten. Ein Konvoi aus 2 880 25-Tonnen-Lastwagen von 63,36 km Länge, der von Basel bis nach Freiburg im Breisgau reicht.
Weiternutzen – Weiterbauen
Um das Neue entstehen zu lassen, wird zuerst alles Bestehende abgeräumt. Das ist ein veraltetes, auf unbegrenzten Ressourcen basierendes Konzept der Tabula Rasa. Ein Konzept, das wir uns im 21. Jahrhundert nicht mehr leisten können. Konzerne und Architekten stehen wie die Politik in der Verantwortung, sowohl ökologische als auch baukulturell verträgliche Strategien der Nachhaltigkeit zu prüfen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn mit grossem Einfluss geht eine auch grosse Verantwortung einher. Wir nehmen dieses Projekt deshalb zum Anlass, ein grundsätzliches Umdenken im Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz unter dem Leitgedanken ökologischer, kultureller und städtebaulicher Angemessenheit zu fordern.
Zu diesem Zweck formulieren wir die 5-Punkte einer kulturökologischen Nachhaltigkeit:
- Bauhistorische Dimension
Respekt vor der bauhistorischen Substanz und Berücksichtigung des kulturellen und damit gesellschaftlichen Mehrwerts der Baukultur für die Lebensqualität in der urbanen Landschaft. - Ökologische Dimension
Bestandsbauten müssen als Speicher bereits verbrauchter (endlicher) Ressourcen begriffen werden. Ökologisch verträgliche Umnutzungs- und Erweiterungsstrategien sind zu prüfen. - Gesellschaftlicher Mehrwert
Der durch die Bauplanung erzielte unmittelbare und zukünftige Mehrwert für die Stadt und ihre Bewohner ist genauestens zu überprüfen. - Städtebauliche Angemessenheit
Bestand und Dimension der bereits vorhandenen Umgebung sind der Richtwert für eine angemessene Einpassung von Neubauten. - Kulturökologische Verantwortung
Historischer Baubestand und ökologische Verantwortung sind als Einheit zu betrachten. Bauen mit dem Bestand ist als Teil der jetzt benötigten Kultur einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft zu begreifen.
Die Arbeitsgruppe Tabula Rasa besteht aus Barbara Buser, Florin Gstöhl, Dorothee Huber, Bernd Nicolai, Thomas Steigenberger, Hans-Peter Thür und Christof Wamister.