Immer häufiger wird nach dem Nonkonformen in der Architektur gefragt. Auch archithese hat ein Faible für die Avantgarde und sucht – ganz der eigenen Tradition gemäss – begeistert mit. Aber worum geht es dabei überhaupt? Welchen Beitrag genau sollen die beschworenen Abweichungen von der Norm leisten? Geht es lediglich um Unterhaltung und Spektakel im Debord’schen Sinne? Dann wäre diese Suche ein Luxusproblem oder erwiese der Architektur gar einen Bärendienst, indem sie diese bereitwillig in die Mühlen des Kapitalismus schiebt. Oder sind Korrekturen als Antworten auf die sozialen, psychologischen, technologischen und ökologischen Parameter der Zeit nötig und möglich? Nimmt man einmal mehr die Architekturbiennale in Venedig als Massstab, so ist die Antwort eindeutig und der Prozess bereits in vollem Gange.
Bei der Suche nach den «jungen Wilden» finden sich neben ökologisch und sozial motivierten Arbeiten interessanterweise viele Entwürfe und Projekte, die auf Ästhetiken, Strategien und Konzepte der Architektur-Postmoderne verweisen. Es wird lustvoll collagiert, zitiert, verfremdet und mit Witz und Ironie entworfen. Das irritiert – jedoch nur für einen kurzen Augenblick. Denn rufen wir uns in Erinnerung: Die Postmoderne war in der Architektur allen voran eine Strömung, die aufbrach, lockerte und korrigierte. Wenn die Architekturproduktion in den vergangenen Jahren tatsächlich in Schemata erstarrt ist, ähnlich wie es der funktionalistischen Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg passierte, könnten Strategien der 1970er- und 1980er-Jahre helfen sie aufzubrechen.
Eine erneute Beschäftigung mit der Postmoderne macht auch aus einem anderen Grund Sinn: Philosophisch betrachtet sind wir ja noch mittendrin. Auch in den Künsten und vielen Wissenschaften gilt sie noch immer als das Paradigma der Zeit. Und viele Fragen, Themen und Strategien, die in der postmodernen Architektur gesetzt wurden, wirken bis heute fort, wenn sich auch die Herangehensweisen verändert haben. Es geht letztlich um nicht weniger als die Frage, wie in einer Welt, in der es keine grossen Erzählungen wie Humanismus, Aufklärung oder Moderne mehr gibt und in welcher der Individualität der Nutzer eine hohe Bedeutung zukommt, Architektur gemacht werden kann.
Zurück zu Neuen Wilden. Wir fragen uns: Wissen sie, mit welchen Bausteinen sie spielen? Sollten sie den philosophischen und architektonischen Diskurs der Postmoderne (besser) kennen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Eventuell ist gerade die Unbekümmertheit Voraussetzung für den Erfolg ihrer Experimente? Interessant ist, dass die neuen Postmodernen nicht mehr nur das formale und strukturelle Vokabular der Architekturgeschichte etwa aus der Antike und der Renaissancezeit zitieren und collagieren, sondern auch Elemente der Moderne und sogar der Postmoderne lustvoll abrufen, verfremden und kombinieren.
Diese Beobachtungen legen zwei Hefte nahe: Eines müsste nach der Philosophie, den Anfängen der architektonischen Postmoderne sowie ihren Methoden und Erfolgen fragen. In einem zweiten Heft sollte dann die Aktualität dieser Themen ins Rampenlicht gerückt werden. Für letzteres werden wir in den kommenden Monaten beobachten und weiter recherchieren. Einen ersten Schritt machen wir mit dem Symposium «Die Aktualität der Postmoderne » am 4. Oktober im S AM in Basel.
Für das vorliegende Heft haben wir Experten aus Wissenschaft und Forschung gebeten, die Architektur-Postmoderne erneut zu reflektieren und – sofern möglich oder nötig – die etablierten Lesarten zu umschiffen, um neue Blickwinkel zu ermöglichen. Sie haben sich dem Thema über Schwerpunkte wie Fragmentierung, Collage, Autonomie, Pluralität oder den Einfluss von Galerien und Museen genähert. In einigen Artikeln wurden vertraute thematische und zeitliche Eckpfeiler relativiert und neue Figuren und Theorien in den Mittelpunkt gerückt.
Mit den Plan- und Bildwelten haben wir einen weiteren Fokus gesetzt: Wir hoffen, mit dem Heft als Ganzes und insbesondere mit der Vielfalt und Qualität der Zeichnungen vor dem digital turn zu inspirieren.