Ich bin verliebt – und das schon viele Jahre lang: Seit ich als Student die Himmelstreppe von Herman Prigann auf der Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen gesehen habe, lässt mich die Begeisterung für Landart nicht mehr los. Wie ein Pilger habe ich alle Landart- und Lichtkunstwerke besucht, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park um die Jahrtausendwende auf Halden sowie in und rund um die aufgelassenen Bauwerke der Kohle- und Stahlindustrie im Ruhrgebiet installiert wurden. Wenige Jahre später zog es mich in die USA, wo ich die Klassiker der Landart aufsuchte, die von den Ursprüngen der Bewegung in den 1970er-Jahren noch erhalten sind: Spiral Jetty im Salt Lake von Robert Smithson, Double Negative von Michael Heizer (beide 1970) und Lightning Field von Walter De Maria (1977).
Diese Begeisterung für die Landart teile ich mit den meisten meiner Architektenkollegen. Aber warum? Ist es die gemeinsame Vorliebe für erhabene, dramatische Szenerien ? Sind die Werke der Landart eine ideale Projektionsfläche für Hoffnungen und Utopien oder Kristallisationspunkte nostalgischer Verklärung? Mich als Historiker fasziniert vor allem der von den Kunstwerken adressierte immense Zeithorizont, da ihre meist archaische Anmutung auf die frühesten Bauwerke der Menschheit aus der Vorgeschichte verweist. Die Idee der Urhütte ist im Architekturdiskurs allgegenwärtig – dabei wäre es mindestens genauso wichtig, auch von der Urhöhle zu sprechen. Bekanntlich waren natürliche Einstülpungen im Gelände ja die erste Behausung des Menschen, und seit in der Bruniquel-Höhle im Aveyron-Tal ein 176 500 Jahre alter Kreis aus abgeschlagenen Tropfsteinen gefunden wurde, weiss man zudem, dass das älteste erhaltene «Bauwerk» der Menschheit ein Landart-Kunstwerk ist.
Was hat das aber mit dem zeitgenössischen Architekturdiskurs zu tun ? Man könnte meinen, es sei ein Nebenschauplatz, doch das Gegenteil ist der Fall: «Landart ist wie ein Spiegelbild der Fragilität und Unvollständigkeit der Architektur. Sie macht die Abhängigkeit von Auftraggebern, äusseren Bedingungen sowie klimatischen und ökonomischen Zufällen deutlich», schreibt Philip Ursprung in seinem Essay.
Und die Landart thematisiert das wohl zentralste und älteste Thema der Architektur: Wie verhält sich das Gebaute zum Grund? Reicht es, Gebäude einfach auf ein Gelände zu setzen, oder sollten sie im corbusianischen Sinne aufgeständert darüberschweben? Analysiert man das aktuelle Baugeschehen, lassen sich viele Antithesen zu diesen beiden Ansätzen finden. Es entstehen viele Bauten, bei denen kaum oder gar nicht zwischen Architektur und Landschaft, zwischen Objekt und Grund unterschieden werden kann. In dieser Ausgabe präsentieren wir daher ausgesuchte Büros, deren Bauten sich Techniken des Einkerbens, Verschneidens, Eingrabens oder Einhöhlens zunutze machen oder deren Bauten geologische Formationen imitieren.
Landart | Erdarchitektur ist der finale Teil einer gedanklichen archithese-Trilogie. Zusammen mit den Heften Bri-Collagen und Ruinen haben wir versucht, nach dem Wert einer Offenheit der Form und verschiedener Aspekte des Verschmelzens oder Verschneidens innerhalb einzelner Bauwerke sowie zwischen Grund und Gebautem zu suchen.
Wir wünschen über die Feiertage viel Zeit zum Lesen und Stöbern in dieser Ausgabe, für die das Redaktionsteam der archithese tief im reichhaltigen Fundus der Schnittmenge zwischen Architektur und (Land-)Art gegraben hat, um die subjektiv inspirierendsten Projekte, Aspekte und mit dem Thema arbeitenden Architekten zutage zu fördern.