München wird oft als Deutschlands heimliche Hauptstadt bezeichnet. Rankings verorten es im globalen Vergleich hinsichtlich der Lebensqualität meist unter den Top Ten, häufig gar als Sieger. Bayern gilt zudem als Primus in Sachen Wirtschaftskraft und Forschung und ist entsprechend gefragter Standort für Firmen der Spitzentechnologie.
Im Gegensatz dazu werden aber weder München noch der Freistaat als Labor für wegweisende Architektur gesehen. Stattdessen hält man vielfach an bewährten Konzepten und Typologien fest. Muck Petzet behauptet gar, dass die Entwicklung in der Architektur der Landeshauptstadt bereits Ende der 1970er-Jahre zum Stillstand gekommen sei.
archithese hat sich dennoch entschieden, genauer hinzusehen und Bayern ein « Länderheft » zu widmen. Grund dafür waren drei Jubiläen – der Freistaat wird 100, die zweite Verfassung trat vor 200 Jahren in Kraft und die TU München feiert ihren 150. Geburtstag. Die Inventur hat sich gelohnt: Aktuell bringt sich im Freistaat eine neue, vielversprechende Gestaltergeneration in Stellung. Andreas Garkisch attestiert jungen Hochschulabsolventen eine hohe Sprachkompetenz sowie Stärken bei Grundrissen und dem Austarieren von Alt und Neu. Zudem zeigt sich – etwa in den Arbeiten junger Büros wie Almannai Fischer, raumstation oder Westner Schührer Zöhrer – eine neue Offenheit gegenüber dem Kontext. Dabei spielt es keine Rolle, wie brüchig, unsauber und gebastelt oder wie vornehm und historisch bedeutend er ist; Mehrfachkodierungen werden bewusst gesucht.
Vieles kommt uns als schriftenreihe mit Sitz in Zürich natürlich bekannt vor. Es zeigen sich Parallelen zu Themen, die seit der Jahrtausendwende in der Schweiz diskutiert wurden und werden. Gelegentlich bezeichneten wir im Verlauf der Heftproduktion die interessanten jungen bayerischen Architekten wie Max Otto Zitzelsberger oder das Büro nbundm * als dritte Generation der Analogen Architektur – allem voran wegen ihrer Freude am Arbeiten mit Referenzen. « Moderat modern » nennt sie Andreas Hild. Manchem hingegen mag dieser Ansatz konservativ erscheinen – Kritiker sprechen daher gelegentlich sogar von einem neuen Historismus. Doch ist das eine verkürzte Sicht, denn häufig werden auch Bauten der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre als wertvoller Fundus erachtet, aus dem man schöpfen kann. Einige Gestalter wie Katharina Leuschner suchen nach einer neuen Balance zwischen einer zeitgemässen Produktion und rationellen Bautechniken einerseits und baukulturellem Anspruch andererseits – etwa in Gestalt der Forderung nach tiefen Fassaden, einer Vielfalt an Farben und Materialien und dem formalen Ausdruck. Andere wie Peter Haimerl glauben, Traditionen und baukulturelles Erbe seien nur durch kraftvolle Überformung zukunftsfähig.
Verglichen mit der bundesdeutschen Architekturproduktion machen sie vieles gut und richtig – und doch sind sie irgendwie zu brav. Es mangelt noch an Experimentierfreude. Die Arbeits- und Lebensrealitäten der Menschen werden selten hinterfragt – weder von Politikern und Investoren noch von den Architekten, die sich dem Thema allenfalls am Rande widmen. Ökonomische Prozesse zwängen das Bauen in die immer gleichen Fahrrinnen. Wenige Ausnahmen sind junge Genossenschaften wie die Kooperative Grossstadt, Baugruppen oder Verfahren mit Bürgerbeteiligungen. Wenn schon das Experiment bei den Typologien und Grundrissen weitestgehend ausbleibt, so zeigt sich zumindest an einem postmodern anmutenden Vokabular – wenn auch nicht mehr in Form von Ironie und Witz – eine gewisse Leichtigkeit.
Das Heft segelt nah an den Ideen, Konzepten und Wünschen der jüngeren Generation, um Ansporn für mehr gestalterische Qualität und Vielfalt zu sein und dazu zu ermutigen, in Architektur zu investieren. Doch ist es kein Marketinginstrument, denn es fragt auch nach vorhandenen Problemen. Und diese sind fundamental: Das deutsche Wettbewerbs- und Vergabewesen benachteiligt junge Architekten und kleine Büros, weshalb der Schritt in die Selbstständigkeit schwierig ist. Architektinnen schaffen es selten in Führungspositionen. Auch auf der politischen Ebene stehen Aufgaben an: Wie können sich die ländlichen Regionen trotz zunehmender Abwanderung fit für die Zukunft machen? In den prosperierenden Städten müssen wiederum rasch Lösungen für die wachsende Wohnungsnot gefunden werden. So hat die druckfrische archithese auch eine politische Agenda und fordert zum Anpacken auf!